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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
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wird, muss man sich eine ganz andere Frage stellen: Wem kann man eigentlich noch trauen?«
    »Und die Antwort darauf lautet …«
    »He, ich schreibe Gedichte! Ich kenne keine Antworten, sondern nur jede Menge unbeantwortbare Fragen. Nimm einfach das Geld und mach eine Zeit lang, was dich interessiert. Eine neue Perspektive kann dir nicht schaden.«
    Die einzige Perspektive, die mir jetzt noch blieb, war die Überzeugung, dass das Leben häufig aus einer Reihe von großen und kleinen Betrügereien besteht. Dad hatte jahrelang alle betrogen, die ihm nahestanden. So wie mein geliebter David seine Frau jahrelang betrogen hatte, woran ich nicht ganz unschuldig war. Und obwohl man die Auszahlung von Freedom Mutual als Abfindung bezeichnen konnte, wusste ich auch, dass sie eine Art Schweigegeld war.
    Aber Christy hatte recht: Ich konnte das Geld trotzdem nehmen. Schließlich zahlt es sich im Leben nur selten aus, das Richtige zu tun. Also rief ich Dwight Hale am nächsten Tag an und sagte, er könne die unterschriebenen Dokumente abholen lassen. Er teilte mir mit, dass er sofort einen Kurier vorbeischicken würde und ich innerhalb einer Woche mit dem Geld rechnen könne. Er bat mich auch, ihn anzurufen, falls sich das FBI noch mal ›in weiteren Angelegenheiten‹ bei mir melden sollte.
    »Ich habe nichts zu sagen«, meinte ich.
    »Gut zu wissen.«
    Ich merkte, dass ich bald ein schlechtes Gewissen hatte, weil ich nichts tat und nichts arbeitete. Also setzte ich mich in die Wiedner Library und zwang mich, zu arbeiten. Ich nahm mir ein klar umrissenes Projekt vor: Ich wollte aus meiner Doktorarbeit ein Buch machen, das mir im Falle einer Veröffentlichung helfen würde, irgendwo einen Lehrauftrag zu bekommen. Einen Monat lang arbeitete ich vierzehn Stunden am Tag. Das Schreiben fiel mir leichter als erwartet – vielleicht, weil ich nur ein bereits bestehendes Manuskript überarbeiten musste, aber vielleicht auch, weil die Arbeit für mich schon immer eine Art Flucht gewesen war, eine Methode, meine Wut zu besänftigen.
    Als ich den einmonatigen Schreibmarathon etwa zur Hälfte hinter mir hatte, nahm ich zwei Tage frei und fuhr zu meiner Mutter nach Connecticut. Wollte ich das wirklich? Wohl kaum. Aber da ich sie schon seit vier Monaten nicht mehr besucht hatte, konnte ich meine Tochterpflichten nicht länger hinausschieben. Also überraschte ich sie mit Champagner und teuren Pralinen und bestand darauf, sie in ein teures Restaurant in Greenwich auszuführen. Mom äußerte sich wiederholt besorgt, wie viel Geld ich ausgäbe. Obwohl ich versuchte, ihr klarzumachen, dass ich richtig dick verdiente – denn ich konnte ihr natürlich nicht sagen, dass ich meinen Job bei Freedom Mutual verloren hatte –, wiederholte sie ständig, ich solle kein Aufhebens um sie machen. Sie käme mit dem Bibliothekarsgehalt, das sie nach wie vor bezog, prima zurecht.
    »Und deshalb fährst du auch ein fünfzehn Jahre altes Auto und hast die Heizungsanlage nicht mehr überholen lassen, seit Reagan Präsident war?«
    »Ich komme zurecht.«
    »›Zurechtkommen‹ reicht nicht. Zurechtkommen ist doch kein Leben!«
    »Es geht mir gut, Jane. Alles in Ordnung.«
    »Und ich werde dir morgen ein neues Auto kaufen.«
    »Du wirst kein Geld für mich rauswerfen, junge Dame.«
    »Und du hörst endlich auf zu reden wie eine Figur aus einem Thornton-Wilder-Roman und lässt dich von mir etwas verwöhnen.«
    »Ich wurde noch nie verwöhnt, wir müssen auch jetzt nicht damit anfangen.«
    Ich wies sie nicht auf die traurige Ironie ihrer Bemerkung hin, aber am Tag nach Thanksgiving fuhr ich ihren alten Toyota Corolla zu einem VW-Händler an der Old Post Road und gab 8000 Dollar für einen neuen Golf aus. Sie machte ein Riesentheater, aber der Verkäufer – ein totaler Schleimer wie alle Autoverkäufer – begriff die Situation auf Anhieb und ging sofort auf ihre Bedenken ein, sich von ihrer einzigen Tochter ein Auto schenken zu lassen.
    »Wenn ich mal in Ihrem Alter bin, Madam«, sagte er und fletschte seine Hamsterzähne zu einem Moderatorengrinsen, »wünsche ich mir zwei Dinge: zum einen, dass ich dann noch so jung und gut aussehe wie Sie. Zum anderen, so eine wunderbare Tochter zu haben – die mir einen niegelnagelneuen VW Golf schenken will.«
    Mom, die offensichtlich ganz ausgehungert nach männlichen Komplimenten war, kaufte ihm die Masche sofort ab. Innerhalb von einer halben Stunde hatte er sie überredet, einen Golf »in patriotischem Freiheitsrot« zu

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