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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
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zu einer Grenzbeamtin. Dank meines in Saskatchewan geborenen Vaters hatte ich neben meinem amerikanischen stets einen kanadischen Pass besessen (was der Bundespolizei anscheinend entgangen war). Nicht, dass ich jemals Gelegenheit gehabt hätte, ihn zu benutzen. Die Grenzbeamtin warf einen kurzen Blick darauf und fragte, wo ich in Kanada wohnen würde. Als ich ihr erklärte, noch nie in Kanada gewesen zu sein und auch nur wenige Wochen bleiben zu wollen, sagte sie: »Nun, wenn es Ihnen bei uns gefällt, müssen Sie sich eine Sozialversicherungsnummer besorgen.«
    »Danke für den Tipp.«
    »Haben Sie Spirituosen dabei?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Also dann, willkommen in der Heimat.«
    In dieser Nacht blieb ich in St Andrews – ein merkwürdiges Städtchen im englischen Stil, das einen leicht verwahrlosten Eindruck machte. Wie in der Pension, in der ich abstieg, wirkte alles ein wenig verstaubt – so musste es Anfang der Sechzigerjahre in Großbritannien ausgesehen haben. Draußen herrschte eine unglaubliche Kälte – minus zehn Grad. Als ich am nächsten Morgen in dem geschmacklos dekorierten Frühstücksraum saß – rote Stofftapeten samt einem dieser Axminster-Teppiche, der aussah wie ein verblichener Rohrschachtest – und eine Tasse Blümchenkaffee trank, ertappte ich mich bei dem Gedanken: Nur dir konnte einfallen, dich ausgerechnet bei Permafrost an der kanadischen Atlantikküste zu verstecken, obwohl du mehrere Hunderttausend auf der Bank hast.
    Eine Stunde, nachdem ich St Andrews hinter mir gelassen hatte, hielt ich in Saint John, einer alten ehemaligen Hafen- und Industriestadt. Heruntergekommene rote Ziegelbauten, deprimierende Läden, aschfahle Menschen in aschfahlen Kleidern und eine Innenstadt im Klammergriff der Apathie. Ich kaufte ein widerwärtig schmeckendes Sandwich und fuhr weiter nach Osten. Ich übernachtete in Sackville, direkt an der Grenze zu Nova Scotia. Es handelte sich um ein College-Städtchen – Mount Allison, eine der besten Universitäten Kanadas lag hier –, und inmitten der neugotischen Architektur, der Buch-Antiquariate und Studentenkneipen fühlte ich mich sofort zu Hause. Es gab sogar ein altes Kino im Fünfzigerjahre-Stil, das gerade eine Kubrick-Retrospektive zeigte. Seltsam, dass uns immer das anspricht, was uns vertraut ist und unserer Weltsicht entspricht. Bevor ich hierherkam, hatte ich mir die Provinz New Brunswick immer wie England en miniature vorgestellt. Doch mit Ausnahme von Sackville war sie spießig und heruntergekommen. Selbst das kleine Hotel, das ich an der Hauptstraße Sackvilles entdeckte, sah aus wie aus einem Edward-Hopper-Gemälde – ganz so, als stamme es aus den Vierzigerjahren, aus einer Welt der Mühseligen und Beladenen. Ein Ort, an dem ich mir gut ein ehemaliges, in die Jahre gekommenes Revuegirl vorstellen konnte, mit wasserstoffblond gefärbtem Haar, verlaufener Wimperntusche und einem grellrot geschminkten Mund, das filterlose Chesterfields raucht, während es seinen allabendlichen fünften Canadian Club trinkt. Als ich am nächsten Morgen irgendwo meinen Kaffee trank, begriff ich, dass ich wahnsinnig werden würde, wenn ich in so einem kleinen College-Städtchen unterrichten müsste. Mein kurzer Flirt mit dem Geld hatte mich dafür ein für alle Mal verdorben.
    Noch am selben Morgen verließ ich Sackville und fuhr weiter nach Osten, wobei ich zwei Nächte in Halifax blieb. Ich hatte irgendwo gelesen, die Stadt sei ein Geheimtipp. Das Zentrum schien nach und nach Stahlbetonbauten der brutalen Siebzigerjahre-Architektur gewichen zu sein. Ja, ich entdeckte ein paar Straßenzüge mit Geschäften, Boutiquen und Möchtegern-Restaurants, die einen auf New York machten und der Stadt einen ansatzweise hippen Anstrich verliehen – aber ich kaufte ihr das nicht ab. Halifax deprimierte mich genauso wie Saint John – und ich hätte auf der Stelle kehrtgemacht und wäre Richtung Norden nach Quebec gefahren, wenn ich nicht zufällig einen Strand mit dem nicht sehr kanadischen Namen Martinique entdeckt hätte.
    Diese Entdeckung hatte ich dem Portier des kleinen Hotels zu verdanken, in dem ich abgestiegen war. Ich erwähnte, dass ich die Stadt wahrscheinlich am nächsten Morgen verlassen würde.
    »Das ist früher als geplant«, sagte er, als er feststellte, dass ich ursprünglich noch drei Tage hatte bleiben wollen.
    »Ich glaube, es war keine so gute Idee, im Januar nach Halifax zu kommen«, sagte ich.
    »Aber bevor Sie abreisen, sollten Sie unbedingt

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