Aus Nebel geboren
hatte sich am Saum vollgesogen, und sie hoffte, dieser ungemütliche Ausflug würde sich wenigstens bezahlt machen. Ein Gast aus dem Café de Nuit betrieb neben dem Bahnhof ein Fundbüro mit Pfandleihe. Sie rechnete damit, bei ihm etwas über ihren geheimnisvollen Fund herauszufinden. Sicher konnte er den Wert des Steins ermitteln oder zumindest dessen Echtheit überprüfen. Aber ehe sie den vermeintlichen Rubin durch Paris tragen würde, musste sie wissen, ob er ihr wirklich helfen konnte. Vielleicht hatte er mit Edelsteinen – falls es einer war – überhaupt keine Erfahrung.
Sie war tief in Gedanken versunken, als sie der Weggabelung nach rechts in Richtung Bahnhof folgte. Hier war der Weg schmaler, und marmorne Ehrentafeln französischer Künstler säumten den Pfad. Doch selbst Monet, Gauguin und van Gogh gelang es nicht, diesen Teil des Parks zu einer Attraktion zu machen. Die dunklen, überhängenden Äste der Weiden raubten den Wegen das Licht, und die Schatten der Steintafeln weckten gruselige Fantasien. Fay beschleunigte ihre Schritte und sah über ihre Schulter. Sie war allein, der Park verlassen.
Gerade atmete sie erleichtert aus, als vor ihr ein Mann auf den Weg trat. Der eisige Blick aus seinen berechnenden Augen ließ sie erstarren, und die Waffe, die er auf sie richtete, vereitelte jeden Gedanken an Flucht. Der Regen, der ihm über den kahl geschorenen Kopf und in den Pelzkragen seiner merkwürdigen Kleidung rann, schien ihm nicht das Geringste auszumachen. Das schwarze Leder seiner Hose und die eng um seine Brust geschürte Weste mit dem Pelzbesatz war mit metallenen Schnallen und Gurten versehen. Der dunkle Ledermantel reichte bis hinab zu seinen militärisch anmutenden Stiefeln, die eng an seine muskulösen Waden anlagen.
Fay erstarrte. Ihre Gedanken waren wie eingefroren, als sie verzweifelt überlegte, was sie tun konnte. Die Welt um sie herum drehte sich und verschmolz zu einem unerreichbaren Ort. Hilflos gefangen in ihrer Angst, sah sie ihn näher kommen, ohne den Blick vom unnatürlich langen Lauf der Pistole nehmen zu können.
Ein Schalldämpfer , warnte ihr Gehirn und sandte Adrenalin durch ihre Adern.
Der Fremde blieb nur wenige Zentimeter vor ihr stehen und lächelte. Dabei entblößte er eine Reihe weißer, gerader Zähne, aber es war dennoch alles andere als ein freundliches Lächeln.
„Es ist klug von dir …“, raunte er, und der Lauf seiner Waffe strich über Fays Wange, „… nicht zu plärren. So kommen wir gut miteinander aus.“
Er zupfte eine ihrer roten Strähnen unter ihrer Kapuze hervor und wickelte diese fest um seinen Finger. Mit der Waffe dirigierte er sie hinter Pablo Picassos Ehrentafel. Mit Knien, weich wie Gummi, folgte Fay seiner Anweisung. Der Schmerz an ihrer Kopfhaut trieb ihr die Tränen in die Augen, als er an ihren Haaren riss. Er presste sie mit dem Rücken gegen den Stein und streifte ihr die Kapuze ab. Zufrieden ließ er seine Hand durch die Locken gleiten, während er den Schalldämpfer von unten gegen ihre Kehle presste.
Der Drang zu urinieren war übermächtig, aber Fay kämpfte tapfer dagegen an.
Das ist nur ein Perverser , versuchte sie sich einzureden. Er wird mich etwas betatschen und sich einen runterholen, also nichts, was ich nicht schon gewohnt bin .
Wie gerne hätte Fay das geglaubt, aber ihre Nerven vibrierten vor Angst, weil sie instinktiv wusste, dass dies nicht stimmte. Allein die Kleidung des Mannes zeigte ihr, dass sie sich irrte. Dieser Kerl war gefährlich.
„Wo ist er?“, fragte er, und seine grauen Augen durchbohrten sie.
Fay hörte kaum, was er sagte, so war sie darauf konzentriert, die drohende Ohnmacht zurückzudrängen. Zweimal in zwei Tagen in so eine Situation zu kommen, konnte kein Zufall sein.
„Wo ist der Stein?“, wiederholte er drängend und drückte den Lauf der Waffe fester in ihre Haut.
Der Stein! Natürlich! Julien wird dich finden …
Fay atmete erleichtert aus. Scheiß auf die Hoffnung auf ein neues Leben! Sie würde den dunkelroten Edelstein mit Freude hergeben, wenn nur diese geisteskranken Typen endlich wieder aus ihrem Leben verschwinden würden.
„Julien?“, fragte sie, ohne ihre eigene Stimme wiederzuerkennen. Die Angst ließ sie beinahe krächzen. Die Angst – oder die Waffe, die gnadenlos gegen ihre Kehle drückte.
Diesmal erreichte das Lächeln sogar seine kalten Augen.
„Julien? Du kennst also … meinen Namen? Woher?“
Er lehnte sich gegen sie. Sein Knie drängte zwischen ihre
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