Aus Nebel geboren
wohl recht, Cecil“, stimmte ihm Julien zu und schloss seine Faust wie zum Schutz um die Locke. Er wollte nicht, dass sein verrückter Gefährte das Haar anfasste. Es war ihm aus unerklärlichen Gründen wichtig – beinahe so, als würde Cecils Berührung die Intimsphäre der unbekannten Rothaarigen verletzen.
Die seidig-sanfte Berührung verwirrte ihn, und es fiel ihm schwer, die wesentlichen Dinge, wie die Suche nach der Wahrheit, im Auge zu behalten.
„Was sollen wir mit diesem Haarbüschel anfangen?“ Louis schüttelte den Kopf, und sein bohrender Blick war sorgenvoll.
„Ich denke, um eine Antwort auf diese und all die anderen Fragen zu erhalten, müssen wir zuerst die Frau finden, zu der diese Strähne gehört …“, schlug Julien vor und versuchte, das warnende Kribbeln in seinem Nacken zu verdrängen, „… ehe die Bruderschaft es tut.“
Nachdem sie den Stein versteckt hatte, fühlte sich Fay besser. Trotzdem hat sie das Gefühl, man könnte ihr an der Nasenspitze ansehen, dass sie etwas zu verbergen versuchte. Darum war sie beinahe dankbar für den Regen, der seit dem Morgen dicht wie ein Vorhang auf Paris herabprasselte und die Passanten zwang, unter dunklen Schirmen Schutz zu suchen. So blieb auch sie vor neugierigen Blicken verschont.
Ihr Weg führte sie durch die engen Gassen, die bei diesem Wetter nichts von ihrem typisch französischen Charme hatten. Trotz der Mittagszeit kein Duft nach süßem Gebäck, keine Musik aus der Ziehharmonika eines Straßenmusikers und keine leidenschaftlichen Gesprächsfetzen, die durch geöffnete Fenster nach außen drangen. Eine Schar Tauben plusterte sich auf dem groben Kopfsteinpflaster am Eingang eines kleinen Parks, der aufgrund des Wetters ebenfalls wie seelenlos wirkte, auf. Ein schwarz lackierter Metallzaun mit der französische Lilie an den Spitzen säumte den Park und war, obwohl er erst ein Jahr alt war, an etlichen Stellen schon verbogen. In Bahnhofsnähe war es für die Stadt beinahe unmöglich, gegen den Vandalismus anzukommen und etwas über längere Zeit in gutem Zustand zu erhalten.
Fay zögerte und zog sich die Kapuze ihrer schwarzen Lederjacke über die bereits nassen Haare. Ihre Nerven lagen wegen des Steins vollkommen blank, und sie vermutete überall Verfolger.
Julien wird dich finden , hallte es in ihrem Kopf, und sie schauderte. Sie versuchte, sich nicht zu fragen, was aus dem Fremden mit den Pfeilen in der Brust geworden sein mochte, und hoffte zugleich, dass dieser Julien – wer immer das auch war – sie niemals finden würde.
Julien ließ seinen Blick über die Dächer und Straßen vor sich wandern. Er begann seine Suche nicht weit von der Stelle, an der Lamar und er sich am Abend zuvor von Gabriel getrennt hatten. Hier hatte sich dessen Schicksal entschieden. Irgendwo hier in der Nähe musste er der Frau mit den roten Haaren begegnet sein.
Wo bist du?
Er verfluchte den Regen, der es den Menschen unter ihren Schirmen ermöglichte, seinen Augen zu entwischen. Er wusste, warum es ihm so immens wichtig erschien, die Frau zu finden, denn sie war seine einzige Chance auf den Stein, aber das erklärte noch nicht sein übermächtiges Bedürfnis, sie unter allen Umständen vor seinen Brüdern zu finden. Die rote Locke, die er nahe seines Herzens aufbewahrte, brannte sich durch den Stoff seines Hemdes in sein Fleisch und machte ihn unruhig.
So vieles hing an dieser Frau. Wusste sie, wo die Wahrheit war? Hatte Gabriel ihr vertraut und war sie Freund – oder Feind? War sie sich der Gefahr bewusst, in der sie schwebte? Aber all diese Fragen wogen nicht so schwer wie dieses unerklärliche Gefühl, diese Fremde schützen zu müssen. Seit er ihr Haar in Gabriels Tasche gefunden hatte, verspürte er diesen Drang, wie nur einmal zuvor in seinem eintausend Jahre währenden Leben.
Er sah auf die Stadt zu seinen Füßen hinab, auf die im Regen verwaschenen Gesichter der Menschen von Paris – und sah doch etwas vollkommen anderes.
„Schaff sie in den Palast, ich halte dir den Rücken frei!“
Julien war von dem Drang getrieben worden, die Frau um jeden Preis zu beschützen, und wenn er eines im Kampf gelernt hatte, dann dies: Vertraue deinem Gefühl. Und das hatte er getan.
„Das ist Irrsinn!“, hatte Gabriel widersprochen, was Julien erzürnte. Wütend fuhr er zu seinem Freund herum.
„Das ist ein Befehl!“, rief er und schwang seine Waffe, woraufhin sich die Horde auf ihn stürzte.
Der Schmerz, den die Wunde an seiner
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