Aus Notwehr! - Aus Notwehr! - For a House Made of Stone. Gina's Story
und spreizte die Finger, um anzudeuten, wie übel zugerichtet Jun war.
In dem Brief erklärte er, dass er zu Hause bei seiner Familie sei, und er bat mich, ihn besuchen zu kommen. Ich sagte Tantchen, dass ich meine Familie besuchen wollte, weil ich wusste, dass sie mich nicht gehen lassen würde, wenn sie die Wahrheit erfuhr. Ich eilte also los, sobald ich mit meiner Hausarbeit fertig war, und hatte Angst, was ich wohl vorfinden würde. Ich war zum ersten Mal dort und staunte, wie groß das Haus war. Es gehörte seiner Tante, die sich gut verheiratet hatte und in der Schweiz lebte. Es war sogar noch größer als das Haus, in dem ich in Manila gearbeitet hatte.
Den nächsten Schock bekam ich, als ich sein Gesicht sah, nachdem er auf mein Klopfen hin die Tür geöffnet hatte. Seine Lippen waren so aufgeschwollen, wie meine Freundin es mir beschrieben hatte, aber das schien ihn nicht zu kümmern; er freute sich nur, mich zu sehen. Er bat mich herein und stellte mich seinem Cousin und seiner Oma vor; sie waren beide nett und hießen mich willkommen. Sie unterhielten sich höflich ein paar Minuten mit mir, dann nahm mich Jun mit auf sein Zimmer. Er
machte die Tür hinter uns zu, und wir waren endlich allein. Er wollte nur, dass ich ihn küsste.
»Ich kann dich nicht küssen«, sagte ich halb entsetzt, halb lachend. »Schau dir doch deine armen Lippen an.«
»Dann heilt es besser«, neckte er mich und versuchte trotz der Schmerzen zu lächeln.
Ich küsste ihn also, indem ich meine Lippen sanft auf die seinen drückte; ich roch seine Haut und spürte seinen sanften Atem. Das Gefühl war wunderbar. Ich liebte diesen Mann wirklich! Ich hatte zuvor nur einmal einen Jungen geküsst - auf die Wange. Er war ein Freund, für den ich nichts empfunden hatte, aber diese Erfahrung jetzt war etwas ganz anderes; sie war schöner, als ich es mir je hätte vorstellen können. Ich fühlte mich jetzt wie eine richtige Frau, nicht mehr wie ein kleines Mädchen.
»Ich möchte dich sobald wie möglich heiraten«, sagte er. »Du musst mit deiner Mutter reden und sie um Erlaubnis bitten.«
»Sie hält mich für zu jung«, sagte ich; ich machte mir Sorgen, dass er, wenn ich meine Mutter nicht überreden konnte, die Geduld verlieren und zu dem anderen Mädchen zurückgehen könnte.
»Deshalb musst du mit ihr reden. Du kannst sie sicher umstimmen.«
Ich versprach also, mein Möglichstes zu tun, obwohl ich nicht verstand, was die Einwilligung meiner Mutter am Gesetz ändern sollte. Ein paar Tage später überredete ich das Tantchen, mich noch einmal in unser Haus in den Bergen fahren zu lassen - ich hatte nun einen Plan im Kopf.
»Ich will nicht mehr für die Tante arbeiten«, sagte ich zu Mama, als wir zu Hause beim Kaffeetrinken saßen.
»Aber was möchtest du dann tun?«, fragte sie.
»Also«, sagte ich nachdenklich, »ich will entweder wieder nach Manila und mir einen besser bezahlten Job mit Zukunftsaussichten suchen oder Jun heiraten. Was wäre dir lieber?«
»Ich will nicht, dass du wieder weg gehst«, sagte sie. »Aber du bist noch zu jung für eine Ehe.«
»Genau das will ich aber, Mama«, beharrte ich.
»Dann mach, was du willst.« Sie zuckte die Achseln. Vielleicht dachte sie ja, dass Jun und ich unsere Träume sowieso erst einmal ein Jahr lang aufschieben mussten, sobald wir uns mit den Schwierigkeiten wegen meiner Minderjährigkeit konfrontiert sahen.
»Dann kann ich also« - ich spürte plötzlich, wie mich wegen ihrer Zustimmung die Aufregung packte - »seine Eltern hierher einladen?«
»Wie du willst, Gina«, sagte sie seufzend und fing dann an, von etwas anderem zu reden, als gäbe es zu dem Thema nichts mehr zu sagen.
Auf den Philippinen ist es Brauch, dass vor der Hochzeit des jungen Paares die Verwandten des Jungen die Verwandten des Mädchens besuchen, um sich offiziell vorzustellen; sie bringen dann jede Menge zu essen und zu trinken mit. Sinn der Sache ist wohl, dass die Eltern des Jungen vermitteln, weshalb es für die Eltern des Mädchens eine Ehre ist, ihren Sohn als Schwiegersohn zu bekommen. Wenn alles gut geht, essen die beiden Familien dann miteinander, lernen sich kennen, besprechen die Einzelheiten der Hochzeit und legen auch den Termin fest.
Juns Familie machte die Reise in einem Jeepney, und nachdem das Eis gebrochen war, kamen alle gut miteinander zurecht. Als ich beobachtete, wie sie redeten, lachten
und fröhlich miteinander tranken, erschien mir das eine Bestätigung, dass ich den richtigen
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