Aus reiner Mordlust: Der Serienmordexperte über Thrill-Killer (German Edition)
beispielsweise politische, gesellschaftliche oder religiöse Themen eine Rolle spielen, die geeignet sind, ein eigenes soziales Profil zu entwickeln bzw. zu schärfen und zu stärken. Dabei werden unterschiedliche Gewaltszenarien aufgebaut, die Bilder im Kopf überschlagen sich.
»Einen allemachen« – darüber schwadronieren nicht nur Thomas Basler und Peter Brückmann, sondern nach kurzer Zeit die gesamte Gruppe; vornehmlich dann, wenn man bei einer Flasche Bier zusammensteht. Das müsse »doch geiler sein«, als »den Alten wegzuklatschen«, ist der allgemeine Tenor. Bald gibt es kein anderes Thema mehr, das so oft und so offen diskutiert wird. Die gedanklichen Ausschmückungen, wie ein Mensch getötet werden soll, sind durchdrungen von Zynismus und Grausamkeit, plötzlich erscheint alles leicht und alles möglich: Es müsse ein »herrliches Massaker« werden, meint beispielsweise Peter Brückmann. Wen es letztlich treffen soll, bleibt zunächst zweitrangig.
Identifikationsphase
Das Thema ist nun allgemein anerkannt und allgegenwärtig. Die Gruppe identifiziert sich mit diesem Leitgedanken. Eine Gegenrede Einzelner unterbleibt in der Regel, weil sie befürchten, innerhalb der Gruppe ihren Status einzubüßen oder ausgegrenzt zu werden. Die Verantwortung des Einzelnen für die beabsichtigte Grenzüberschreitung wird abgelegt auf der Ebene der Gruppenverantwortlichkeit. Damit sinkt auch die Hemmschwelle, Verbotenes zu tun. Das bloße Gedankenspiel wird jetzt als realisierbares Szenario anerkannt und angestrebt. Auch wird häufig während dieser Phase eine bestimmte soziale Randgruppe als opfertauglich etikettiert, die mit gängigen Vorurteilen belegt werden kann. Die angestrebte Grenzverletzung hat inzwischen etwas Demonstratives und erfährt so eine Pseudo-Rechtfertigung. Erst jetzt erscheinen inkriminierte Handlungen aus der Gruppe heraus tatsächlich realistisch und durchführbar, die sich der Einzelne unter anderen Umständen nicht zutrauen und auch nicht anstreben würde.
Innerhalb der Jugendgruppe am König-Heinrich-Platz herrscht bald Einigkeit, nicht nur darüber zu palavern, wie ein Mensch ermordet werden soll, sondern es auch zu tun. Das macht die ganze Sache noch spannender, aufregender, lebendiger. So entwickelt sich schon nach kurzer Zeit eine pathologisch eingefärbte, emotionale Eigenwelt innerhalb der Gruppe, es erscheint grundsätzlich reizvoll, sich mit gewalttriefenden Vorstellungen gegenseitig zu beeindrucken und zu übertrumpfen. Schließlich einigt man sich auf einen »Homo« als Opfer, solche Menschen hätten es »sowieso verdient«, lautet die jenseits der sozialen Wirklichkeit und Sinnhaftigkeit verortete Begründung. Nun ist es keine Frage mehr, ob es passieren wird, sondern nur noch, wann. Die Uhr tickt immer lauter.
Zielfindungsphase
Während dieser Periode verliert das Thema seine Unverbindlichkeit, weil mit ihm konkrete Ziele verknüpft werden – das Opfer wird personalisiert. Obwohl das Opfer grundsätzlich beliebig erscheint, besteht häufig zwischen der Gruppe, das heißt zwischen den einzelnen Mitgliedern und dem Opfer, eine Vorbeziehung, weil das diskriminierende Merkmal sonst nur schwer oder gar nicht festgestellt werden kann. Als Gruppenziel wird ebenso vereinbart, den Tätern nach der Tat beizustehen und Hilfestellungen zu geben.
Joachim Grauert wird als Opfer nur deshalb favorisiert, weil er homosexuell und grundsätzlich verfügbar ist. Ihm können bedenkenlos negative Eigenschaften zugeschrieben werden, die aus Vorurteilen abgeleitet sind und die sonst positive Meinung über ihn atomisieren. So entsteht ein entpersonalisiertes Feindbild. Joachim Grauert ist jetzt in der Vorstellungswelt der Gruppe kein beachtenswerter Mensch mehr, sondern nur noch bloße Zielscheibe.
Rollenverteilungsphase
Nun werden konkrete Tatbeteiligungen festgelegt. Entscheidend sind dabei Alter, Status innerhalb der Gruppe und das persönliche Durchsetzungsvermögen. Rollenverteilung bedeutet aber in der Regel nicht, dass dezidiert darüber entschieden wird, wer welchen Tatbeitrag wie ausführt, sondern wer an der Tat überhaupt teilnehmen soll und auch darf. Diese Aufteilung ist erforderlich, weil die Gruppe häufig zu groß ist, um als solche die Tat begehen zu können, und einzelne Mitglieder lediglich bedingt oder überhaupt nicht geeignet erscheinen. Die Gruppe teilt sich deshalb jetzt in zwei Fraktionen auf: Mittäter und Mitwisser.
Als am König-Heinrich-Platz über Joachim Grauerts
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