Aus reiner Mordlust: Der Serienmordexperte über Thrill-Killer (German Edition)
Und mit dem, was sein eigentliches Opfer nun tut, hat er nicht gerechnet, damit nicht. Das kann doch nicht sein!
Die Frau bedroht ihn mit einer Pistole, die verdammt echt aussieht. »Schmeiß das Messer weg!«, fordert sie ihn auf. Das Bowie-Messer schlittert über die Fliesen. »Und jetzt ein paar Meter zurück!« Jonas Klingbeil pariert. Er will wohl etwas sagen, nur bekommt er kein Wort heraus. Sie könnte jetzt alles von ihm verlangen. Nicht sie ist ihm ausgeliefert, sondern er ihr. Die Lust am Töten spürt er nicht mehr. Vielmehr wird er sich seiner erbärmlichen Situation bewusst, schämt sich. Jetzt will er nur noch weg, einfach weg.
Die Frau geht mit der Pistole auf seinen Kopf zielend an ihm vorbei, erst langsam, dann schneller werdend. Jonas Klingbeil macht keine Anstalten, sie aufzuhalten oder zu verfolgen. Stattdessen ist er ungemein erleichtert, als die Frau am Ende des Treppenaufgangs aus seinem Blickfeld endlich verschwindet. Es dauert noch eine Weile, bis er wieder klar denken kann, bis er begreift, was da gerade passiert ist. Dass es ihm passiert ist.
Später wird sich herausstellen, dass es eine Prostituierte gewesen ist, die ihm den Schneid abgekauft hat. Sie wird bei der Kripo aussagen: »Ich konnte den Typen durch den Spiegel hinter mir sehen. Dass der was von mir wollte, war mir schon klar. Da habe ich meine Gaspistole aus der Jackentasche gezogen und ihm die unter die Nase gehalten. Der hat nur noch blöd geguckt.«
Jonas Klingbeil verlässt in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten seine Wohnung nur dann, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Der Schock sitzt tief. Und die Angst, dass sie ihn wegen der Sache im Bahnhof holen kommen, einsperren und der Öffentlichkeit als Monster präsentieren. Er kann nicht ahnen, dass die Frau keine Anzeige erstattet hat.
Erst nach und nach kehrt das Gefühl der Sicherheit zurück, dann flammen die abnormen Phantasien wieder auf und beginnen ihn und sein Dasein und Sosein zu formen und zu beherrschen. Er nimmt diese inneren Vorgänge jetzt aber auch als unangenehm und unnatürlich wahr, wesensfremd, bedrohlich. Jonas Klingbeil hat nämlich verinnerlicht, dass er tatsächlich bereit ist, eine eigentlich unverrückbare Grenze zu überschreiten, ein Menschenleben auszulöschen. Diese Vorstellung geilt ihn nicht nur auf, sie macht ihm auch Angst. Im Laufe der Zeit entwickelt er regelrechte Abwehrmechanismen, um die ihn überfallenden Gedanken abzuwehren.
In der ersten Zeit war ich ziemlich erschrocken über mich selbst. Du bist doch krank, habe ich überlegt, du musst doch krank sein. Das kannst du doch nicht machen. Das war ein richtiger Kampf zwischen der Vernunft und der Gier, der Geilheit. Es war so, dass mir nach der Geschichte mit der Nutte im Bahnhof klar war, wie die Sache ausgehen konnte. Wenn ich klar im Kopf war und darüber nachgedacht habe, wollte ich das eigentlich nicht. Da habe ich schon mit mir gekämpft. Das war schon so ein bisschen wie Gut gegen Böse.
Jonas Klingbeil beginnt damit, seine Mobilität einzuschränken. Der Wagen bleibt stehen. Wenn er die Wohnung verlässt, geht er zu Fuß oder nimmt den Bus. Die Frauen, denen er begegnet und die als Opfer geeignet wären, schaut er nicht mehr an, er schaut nur noch weg. So gelingt es ihm, eine innere Distanz zu schaffen und sich abzulenken. Erst wenn er wieder zu Hause ist, gibt er seinen inneren Widerstand auf und lässt sich gehen.
Wie die Opfer in meiner Phantasie aussahen, war mir egal. Kinder und ältere Frauen gingen nicht. Männer auch nicht. In meinen früheren Phantasien waren es Mädchen, die mich verarscht hatten, jetzt richtete sich mein Hass irgendwie gegen alle Frauen. Es war mir auch egal, was die anhatten. Für mich war der Ablauf entscheidend, also Gegenwehr der Frau, überwältigen und Widerstand brechen, Panik bei der Frau, Klamotten vom Körper schneiden. Und das Finale war dann die nackte und panische Frau, die von mir abgestochen wird.
Als Jonas Klingbeil beruflich zu scheitern droht, gerät er nicht nur finanziell unter Druck, sondern auch seelisch. Jetzt hat er plötzlich viel Zeit zum Nachdenken. Keine Ablenkung mehr. Den sich überschlagenden Phantasien hat er nun nicht mehr viel entgegenzusetzen. Er will sich aber auch nicht mehr zurückhalten.
Also beschafft er sich eine neue Waffe: ein Bowie-Messer der Firma Herbertz, AISI 420, Zinkdruckguss, Lederscheide. Die Klinge besteht aus rostfreiem Hochleistungsstahl und hat eine Länge von 15,5 Zentimetern.
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