Aus reiner Mordlust: Der Serienmordexperte über Thrill-Killer (German Edition)
Reifungsstörungen handeln soll. Therapie? Nein. Medikamente? Nein. Verhaltenshinweise? Nein. Die Probleme werden von ganz allein wieder verschwinden, versichert der Experte. Heute würde man bei diesem Symptombild wohl an ADHS denken, die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung.
Jonas’ Verhalten bessert sich auch in den nächsten Monaten nicht. Im Gegenteil. Wenn der Junge einen Schub bekommt, gibt es kein Zurück mehr, kein Halten. Dann schmeißt er sich scheinbar grundlos auf den Boden, beginnt zu schreien. Oder er bekommt plötzliche Wutanfälle, und er schlägt um sich, verletzt dabei seinen Bruder oder andere Kinder. Seine sehr engagierte Mutter versucht es mit viel Geduld, doch irgendwann sind ihre Kräfte aufgezehrt, zumal auch Jonas’ jüngerer Bruder besondere Zuwendung braucht – er leidet an einer chronischen Darmentzündung.
Als Jonas sieben Jahre alt ist und zum x-ten Male nicht bekommen soll, was ihm seiner Meinung nach eigentlich zusteht, baut er sich mit hochrotem Kopf vor seiner Mutter auf und brüllt: »Wenn ich keine Kekse kriege, hacke ich dir den Kopf ab!« Die Mutter verliert die Contenance, ohrfeigt den Jungen und gibt sich auch in den nächsten Tagen unversöhnlich: keine Erklärung, keine Entschuldigung, dafür eisiges Schweigen. Derlei drastische Auseinandersetzungen zwischen Mutter und Sohn häufen sich in der Folgezeit.
Der Vater indes versagt als Erziehungsberechtigter vollends, weil er von seiner Berechtigung zur Erziehung erst gar keinen Gebrauch macht. Kinder gehen ihn nichts an, das ist angeblich Frauensache. Er lebt lieber an der Familie vorbei in einer eigenen Welt, von ihm sind weder Anteilnahme noch Hilfestellungen zu erwarten. Zu Hause bastelt er lieber an seiner Modelleisenbahn herum oder geht nach dem Abendessen nebenan in die Kneipe.
Weil sich Jonas’ Verhalten nicht bessert, wird der Junge nochmals ärztlich begutachtet. Diesmal diagnostiziert man eine »neurotische Fehlentwicklung« und verschreibt Tabletten, die ihm seine Mutter wegen der zu befürchtenden drastischen Nebenwirkungen nicht geben will und wird. Schließlich gibt man den als schwer erziehbar geltenden Jungen in eine Pflegefamilie. Dort kommt man mit ihm aber auch nicht zurecht. Sechs Monate später wird Jonas in ein Erziehungsheim abgeschoben. Zu diesem Zeitpunkt ist er neun Jahre alt.
Seine schulischen Leistungen sind regelmäßig bestenfalls durchschnittlich. Im Kreis der Klassenkameraden findet er keinen Anschluss. Stattdessen gibt er immer wieder – meistens ungewollt – Anlass zu Streitereien, die nicht selten auch in wüste Raufereien und Prügeleien münden. Der eher schmächtige Junge zieht dabei stets den Kürzeren, zumal er es meistens gleich mit mehreren Widersachern zu tun bekommt.
Als Jonas elf Jahre alt ist und sich seine Leistungen in der Schule spürbar verbessern, er insgesamt auch deutlich ruhiger und ausgeglichener wirkt, darf er zu seiner Familie zurückkehren. Doch schon nach kurzer Zeit kommt es wieder regelmäßig zu Konflikten mit der Mutter, die bemüht ist, ihren Sohn in ein sehr stringentes Erziehungskonzept einzupassen, und dabei vor allem eins ist: unnachgiebig. Jonas fühlt sich, wie in den Jahren zuvor schon, schlecht und ungerecht behandelt, er glaubt, sein Bruder würde ihm vorgezogen.
Das weibliche Geschlecht spielt für Jonas erst eine Rolle, als er in die Pubertät kommt. Er verliebt sich in ein Mädchen aus seiner Klasse, traut sich aber nicht, es anzusprechen. Überhaupt erlebt er Mädchen überwiegend als unberechenbar und unnahbar, wie eine fremde Spezies, der man nicht trauen kann, vor der man sich vielmehr in Acht nehmen muss. Die Mädchen schauen eben lieber an ihm vorbei oder lassen ihn ihre Geringschätzung deutlich spüren. Sexualität lebt er deshalb ausschließlich nach innen aus, zeit seines Lebens wird er keinen Geschlechtsverkehr mit einer Frau haben.
Auf der Realschule muss er die achte Klasse wiederholen, weil er zu einem Nachprüfungstermin nicht erscheint. Während er sich insgesamt sprachbegabt zeigt, liegen ihm die naturwissenschaftlichen Fächer weniger. Später wird man bei ihm einen Intelligenzquotienten von 118 messen, ein überdurchschnittlicher Wert.
Dennoch erreicht Jonas nur einen mittelprächtigen Schulabschluss und beginnt eine Lehre als Elektromonteur, die er nach drei Jahren erfolgreich abschließt. Eine Übernahme durch seinen Lehrherrn bleibt jedoch aus. Diverse Bewerbungsschreiben haben im Wesentlichen keinen
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