Aus reiner Mordlust: Der Serienmordexperte über Thrill-Killer (German Edition)
Erfolg, nur zweimal wird er zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, den Job bekommt aber bei beiden Malen ein anderer. Jonas hält sich fortan mit Gelegenheitsarbeiten finanziell über Wasser, seine Familie unterstützt ihn monatlich mit 300 D-Mark.
Bis zu seiner Festnahme gelingt es Jonas Klingbeil nicht, Freunde zu gewinnen. Das will er auch gar nicht. Er hat zu viele schlechte Erfahrungen gemacht, wurde über Jahre hinweg schikaniert und drangsaliert. Aber andere Menschen interessieren ihn auch nicht. Er geht lieber seine eigenen Wege, er möchte sich nicht mitteilen oder erklären. Und so erfährt auch niemand etwas von den ungeheuerlichen Dingen, die ihn in seiner Phantasie beschäftigen. Er bleibt für sich, allein, ungehört und ungestört, gefangen in einer bizarren Scheinrealität, die von einer einzigen Motivation dominiert wird: Mordlust.
Der psychiatrische Sachverständige hat bei Jonas Klingbeil eine kombinierte Persönlichkeitsstörung festgestellt, bei der schizoide und narzisstische Elemente dominieren. Auffällig sei der soziale Rückzug, sein Kontaktvermeidungsverhalten, einhergehend mit der deutlich eingeschränkten Fähigkeit, eigene Gefühle auszudrücken, ebenso sexuelle Bedürfnisse. Markant sei auch die ausgesprochen konfliktbehaftete Beziehung zu seiner Mutter, die mit ihren perfektionistischen erzieherischen Ansprüchen gescheitert sei. Die vorübergehende Trennung von der Familie und der fortwährende Mutter-Sohn-Konflikt habe bei Jonas Klingbeil massive Verlassenheitsängste hervorgerufen, auf die er mit starker Selbstbezogenheit und einem pathologisch eingefärbten Streben nach größtmöglicher Unabhängigkeit reagiert habe.
Post von Jonas Klingbeil. Er habe sich die Sache noch einmal überlegt, schreibt er mir, er sei jetzt doch zu einem Interview bereit. Den Grund für seinen überraschenden Meinungsumschwung teilt er mir auch mit: Anfangs habe er befürchtet, seine Therapeutin könnte ihm ein solches Interview verübeln oder er seine erstmalige Chance auf Lockerungsmaßnahmen verschlechtern. Kürzlich sei er dann aber in einem Therapiegespräch auf mein Anliegen zu sprechen gekommen. Die Therapeutin habe ihm dazu gesagt, er sei grundsätzlich frei in seiner Entscheidung, Bedenken grundsätzlicher Art würden jedoch nicht bestehen. Allerdings müsse auch die Klinikleitung informiert werden. Und so schließt der Brief mit dem Hinweis, ich möge mich mit den Verantwortlichen des psychiatrischen Krankenhauses in Verbindung setzen und die Angelegenheit erörtern.
Zweieinhalb Wochen später begegne ich Jonas Klingbeil in einem schmucklosen Besuchsraum der Klinik. Der 51-Jährige wirkt vorgealtert. Obwohl er sich den Schädel inzwischen kahl rasiert hat, erkenne ich ihn an seinen auffälligen, wie zugekniffen wirkenden Augen und den schmalen Lippen, die mir schon auf älteren Pressefotos aufgefallen sind. Er hat immer noch eine ausgesprochen schlanke Statur und trägt eine randlose Brille. Die Haut seiner von Nikotin gelblich verfärbten Fingerspitzen sieht aus wie abgekaut, jedenfalls deuten frische Hautablösungen und kleinere, noch blutunterlaufene Vernarbungen darauf hin. Sonst keine Besonderheiten. Kleidung: blaues T-Shirt, Jeans, weiße Turnschuhe.
Ich lasse ihn zunächst von seinen Erfahrungen in der Klinik berichten. In der ersten Zeit habe er sich zurückgezogen, mit niemandem gesprochen, auch nicht mit den anderen Patienten, erzählt Jonas Klingbeil, der, bevor er etwas sagt, genau überlegt, lange nachdenkt. Es habe etwa sechs Jahre gedauert, bis er bereit gewesen sei, sich auf Therapiegespräche überhaupt einzulassen. Aber auch dann habe er sich noch nicht öffnen und über die Taten sprechen können, die Hintergründe, seine grotesken Phantasien, den Abgrund in ihm. Das habe noch eine Weile gedauert, Jahre. Erst ein Therapeutenwechsel habe schließlich den Durchbruch bewirkt. Heute gelte er als austherapiert, versichert er mir mit einem gewissen Stolz in den Augen, aber auch tiefer Resignation in der Stimme. Denn ein Patient gilt allgemein als austherapiert, wenn die Möglichkeiten der Behandlung erschöpft sind und keine weiteren Therapieoptionen bestehen, die zu einer Heilung oder erheblichen Besserung des Gesundheitszustandes führen könnten. Mit anderen Worten: ein hoffnungsloser Fall. Endstation. Lebenslange amtliche Zwangsverwahrung. In gewisser Weise auch ein Todesurteil.
Jonas Klingbeil weiß sich wohl auszudrücken und benutzt diverse Fachbegriffe: Die
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