Aus reiner Mordlust: Der Serienmordexperte über Thrill-Killer (German Edition)
Tat ist ein »Tötungsdelikt«, sein abweichendes Verhalten bezeichnet er als »Devianz«, das Verhältnis zu seiner Mutter, die er seit 20 Jahren nicht mehr gesehen hat und auch nicht mehr sehen möchte, ist eine »Objektbeziehung«. Seine Ausführungen erwecken den Eindruck, als seien sie regelrecht einstudiert oder auswendig gelernt, als würden sie aus einem forensischen Gutachten oder einem Lehrbuch für gerichtliche Psychiatrie stammen. Alles nur Fassade? Spielt er mir nur etwas vor? Den geläuterten Patienten, der eigentlich ein netter Kerl ist? Dem man vertrauen kann?
Selbstverständlich besteht die Gefahr, dass er mir Märchen auftischt oder hie und da Dinge weglässt oder hinzufügt, die ihn in einem besseren Licht dastehen lassen, also entmonstern sollen. Nur sitze ich nicht zum ersten Mal mit einem Patienten zusammen, der als austherapiert gilt. Ich habe gerade bei diesen Ex-Tätern sehr gute Erfahrungen gemacht, sie bleiben in der Regel bei der Wahrheit, soweit man davon im engeren Sinne überhaupt sprechen kann, wenn diese schrecklichen Dinge doch schon Jahrzehnte zurückliegen und jetzt noch einmal hervorgeholt und detailliert berichtet werden sollen. Da sind ungewollte Erinnerungsfehler vorprogrammiert.
Sein Tagesablauf: gegen 7.30 Uhr aufstehen, auf nüchternen Magen am vergitterten Fenster des Balkons eine Zigarette rauchen, Kaffee kochen, Frühstück, Morgentoilette, danach manchmal ein Therapiegespräch, Gartenarbeiten, Mittagessen, später am Tag Computerspiele, mit anderen Patienten musizieren – er spielt Akkordeon –, Videos gucken, gelegentlich ein Buch lesen, Abendessen, 21 Uhr Einschluss. Mit kleinen Abweichungen geht das jeden Tag so.
Besuch bekommt er nicht. Seine Familie wollte nach der Gerichtsverhandlung nichts mehr von ihm wissen. Andere Verwandte auch nicht. Niemand. Funkstille. Es gibt auch sonst keine Kontakte in die unvergitterte Welt. Jonas Klingbeil lebt mit sich und für sich, förmlich absorbiert, ausgenommen die wenigen Berührungspunkte mit den anderen Patienten, die er größtenteils nicht mag, weil sie angeblich zu laut sind und ihm ganz schön lästig werden können. Er vertraue nur seiner Therapeutin, erzählt er mir, allein ihr sei es gelungen, ihn von der »Täterperspektive wegzubringen«, Bedürfnisse anderer Menschen zu erkennen und anzuerkennen, insbesondere die »Opferperspektive«. Das sei der Wendepunkt gewesen. Er sehe die Welt nun »mit anderen Augen«.
Warum er überhaupt mit mir spricht, frage ich ihn schließlich. Er schaut mich unverwandt an, nestelt an seiner Brille und überlegt eine Weile. Er habe »richtig Angst gehabt« vor dem Gespräch, sagt Jonas Klingbeil, nach so vielen Jahren der sozialen Abstinenz. Dieser Schritt sei indes notwendig und überfällig gewesen, es habe sich bis dahin nur keine Gelegenheit ergeben. An wen hätte er sich denn wenden sollen, fragt er mich. Und überhaupt sei das eine willkommene Abwechslung. Dann wiederholt er ein Argument, das ich ihm in meinem ersten Brief genannt habe: das eigene Schicksal mit dem seiner Opfer verknüpfen, sich der sozialen Verantwortung bewusst werden und durch eigene Unvoreingenommenheit und Offenheit den Blick frei werden lassen für die Ursachen dieses Dramas, damit Lehren gezogen werden können, die dazu beitragen, dass es in vergleichbaren Fällen nicht wieder zu einer Katastrophe kommt. In gewisser Weise Anschauungsunterricht, wie man sich besser nicht verhalten sollte. Er habe zwar kein tieferes Gefühl für diese Argumentation, sagt Jonas Klingbeil, aber es würde ihm durchaus einleuchten.
Nachdem ich überzeugt bin, nun mit ihm auch über seine Tötungsphantasien und insbesondere den Mord an Bettina Penger sprechen zu können, frage ich ihn, wann und wie er diese Vorstellungen von Gewalt und Tod entwickelt habe. Jonas Klingbeil sinniert wieder, lehnt sich zurück, schließt die Augen, schweigt. Man hört nur noch, wie irgendwo im Haus eine Tür zugeschlossen wird. Sich entfernende Schritte. Dann ist es still.
Schließlich bricht es förmlich aus ihm heraus. Er gibt seine bedächtige Erzählweise auf, reiht übergangslos Satz an Satz, stakkatoartig, schaut an mir vorbei, er scheint in eine andere Welt einzutauchen, schleudert mir die Worte förmlich entgegen. Ich muss an einen Vulkanausbruch denken und bekomme ein Gefühl dafür, wie es gewesen sein könnte, als Bettina Penger seine Mordlust zu spüren bekam, die Gier, seine Maßlosigkeit, diesen unbedingten
Weitere Kostenlose Bücher