Aus reiner Mordlust: Der Serienmordexperte über Thrill-Killer (German Edition)
Vernichtungswillen.
Ich nutze die Gelegenheit und stelle ihm systematisch alle Fragen, die ich mir zu diesem Thema vorher aufgeschrieben habe. Jonas Klingbeil lässt bei seinen bildreichen Schilderungen nichts aus, kein scheußliches Detail, es scheint keine Tabuzone zu geben. Ich lasse mich entführen in eine abgründige und verschlungene Innenwelt, die zunächst nur in seinem Kopf existierte und erst nach vielen Jahren auch seine Außenwelt prägte – mit tödlichen Folgen.
Ich erkenne diese fatale Wechselwirkung von mütterlicher Einengung und väterlicher Ignoranz und sozialer Ausgrenzung, die bei Jonas Klingbeil eine normale Entwicklung seiner Sexualität und seiner Persönlichkeit verhindert, dafür aber seine menschenfeindlich anmutende Grundhaltung und seine Gedankenflucht befeuert hat. Am Ende dieser langwierigen Entwicklung entstand das Bedürfnis, die Wut über die eigene Unzulänglichkeit und die fortwährende Zurückweisung andere Menschen spüren zu lassen, die unbequeme und angsteinflößende Rolle des Losers loszuwerden, sich besser als Täter zu sehen, der Macht ausübt und sogar den Tod bringt – eine lustvolle Vorstellung, die aber erst dann ihre volle Wirkung entfalten kann, wenn es tatsächlich passiert.
Nach diesen Schilderungen verstehe ich, warum Jonas Klingbeil als austherapiert gilt, warum er nicht damit rechnen darf, auf Dauer wieder als freier Mensch leben zu dürfen. Denn er hat irgendwann auch diesen einen entscheidenden Satz gesagt, der jeden Therapieerfolg relativiert und diesen Patienten unberechenbar macht: »Ich habe diese Gedanken vom Töten auch heute noch.«
Das Schweigen der Lämmer
6.40 Uhr
Morgengrauen. Leichter Nieselregen. Es ist kalt. Markus Breitinger sitzt am Steuer seines Wagens, er ist auf dem Weg zur Arbeit. Der 32-jährige Fliesenleger nimmt wie immer die Bundesstraße, biegt an der Tennishalle ab, fährt noch etwa 800 Meter geradeaus und muss an einer beampelten Kreuzung anhalten. Rotlicht.
Er lässt seinen Blick schweifen. Er sieht drei Kinder auf dem Bürgersteig, eins davon hält ein Fahrrad, daneben steht eine Frau. Alle überqueren die Fahrbahn. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet sich unterhalb der Böschung eine Wiese. Markus Breitinger traut seinen Augen nicht: Mann und Frau in eindeutiger Pose, sie unten, er oben. Zuckende Bewegungen. Plötzlich springt das Pärchen auf. Die Frau zieht sich im Laufen die Jeans hoch. Der Mann eilt ihr hinterher. Markus Breitinger denkt spontan an eine bestimmte Szene aus einem Sexfilmchen der 1970er Jahre und muss lachen. Dumm gelaufen!
Die Ampel schaltet auf Grün. Markus Breitinger fährt los und biegt in die nächste Querstraße nach links ab. Im Rückspiegel sieht er noch, wie das Pärchen auf einen Bach zuläuft. Arm in Arm. Dann verliert er die beiden aus den Augen.
6.55 Uhr
Joachim Polanski fährt seinen Range Rover auf die Tankstelle, er will sich dort eine Zeitung kaufen. Der Mann ist 52 Jahre alt und Frührentner. Der Tankstellenpächter erzählt ihm beim Bezahlen, er habe eben eine verdächtige Beobachtung gemacht, etwa 100 Meter von der Tankstelle entfernt. Da habe sich irgendetwas im Gras bewegt, vielleicht ein Betrunkener, ein verletzter Hund oder jemand, der Hilfe benötigt. Man müsse doch mal nachschauen.
Zwei Minuten später erreicht Joachim Polanski die genannte Örtlichkeit, stellt seinen Wagen ab und überquert die Straße. Was er dann auf einer Wiese beobachtet, lässt ihn wütend werden. Mann und Frau liegen nackt in der Missionarsstellung. Öffentlich. Er macht sich lautstark bemerkbar: »Das kann doch nicht wahr sein! Das gibt’s doch wohl nicht!« Die Gescholtenen lassen sich aber nicht stören. Im Gegenteil. Der Mann vergräbt sich nun förmlich in der Frau und steigert das Tempo seiner rhythmischen Bewegungen.
Neben dem Pärchen liegen diverse Kleidungsstücke, wie hingeworfen. Der Mann ist offenbar schlank und wirkt eher jung, die Frau kann Joachim Polanski nicht erkennen. Er wundert sich über die Jugend von heute. Und dass Geschlechtsverkehr auch bei Regen und Kälte auf einer Wiese vollzogen wird. »Könnt ihr das nicht zu Hause machen!«, schreit er. Wieder keine Reaktion der Liebenden. Joachim Polanski gibt die Sache auf, macht kehrt und fährt zurück zur Tankstelle.
»Das ist doch wohl die Höhe!« Der Tankstellenpächter will nicht glauben, was Joachim Polanski ihm berichtet. Man geht vor die Tür, macht noch ein paar Schritte, späht zum Ort des
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