Aus reiner Mordlust: Der Serienmordexperte über Thrill-Killer (German Edition)
hält sich der Gesuchte ganz in der Nähe des Präsidiums auf, knapp zwei Kilometer Luftlinie entfernt in der Wohnung eines gewissen Martin Gronau. Der Mann ist 24 Jahre alt, ledig und arbeitet in einem Computerfachgeschäft. Kriminalpolizeiliche Erkenntnisse existieren nicht, abgesehen von einer Anzeige wegen Schwarzfahrens.
Die Wohnung wird nun rund um die Uhr observiert, auch mit technischen Mitteln. Doch Florian Kranz lässt sich nicht blicken, nur Martin Gronau verlässt einmal das Sechs-Parteien-Haus, kommt aber schon kurz darauf mit gefüllten Einkaufstaschen wieder, allein. Schon tags darauf sehen sich die Fahnder in ihrem Verdacht bestätigt. Florian Kranz verlässt zwar nicht die Wohnung, aber bei der Auswertung des Überwachungsvideos kann er mit großer Sicherheit identifiziert werden, weil er um Punkt 12.34 Uhr aus dem gardinenlosen Fenster geschaut hat.
Kurz vor 21 Uhr. Als ein Spezialeinsatzkommando der Polizei den Zugriff macht, ist es in der gestürmten Wohnung still und dunkel. Später wird sich herausstellen, dass es in den Räumen keine künstlichen Lichtquellen gibt. Im Wohnzimmer treffen die überfallartig und lautstark agierenden SEK-Beamten auf Martin Gronau und Florian Kranz, die bei Kerzenschein fernsehen. Die jungen Männer müssen nicht erst überwältigt werden, sie lassen sich widerstandslos festnehmen. Florian Kranz ist so geschockt, dass er gar nichts sagt, nicht einmal seinen Namen.
Erst während der Fahrt ins Präsidium bricht Florian Kranz, erkennbar verunsichert, unvermittelt sein Schweigen.
»Ich bin froh, dass es vorbei ist.«
»Was ist vorbei?«
»Dass ich mich nicht mehr verstecken muss. Die Sache tut mir sehr leid.«
»Was tut Ihnen leid?«
»Das, was ich gemacht habe.«
»Was haben Sie denn gemacht?«
»Die Sache mit dem Holger. Das tut mir echt leid.«
»Hat Herr Gronau mit der Sache etwas zu tun?«
»Nein, der weiß davon nichts. Ich habe das alleine gemacht.«
»Wie ist das denn passiert?«
Florian Kranz beantwortet die Frage nicht. Er vergräbt sich förmlich in der Rückbank des zivilen Streifenwagens, verkrampft die Hände, senkt den Blick, beginnt zu weinen, zu schluchzen. Minutenlang. Die Kommissare reagieren besonnen und lassen ihn gewähren. Im Präsidium werden sich noch ausreichend Gelegenheiten ergeben, um mit dem Beschuldigten ins Gespräch zu kommen und die Tat zu erörtern. Erfahrungsgemäß verhält es sich häufig genau so, jedenfalls bei Tatverdächtigen, die vor ihrer Festnahme noch nicht mit der Kripo zu tun hatten.
Und tatsächlich, Florian Kranz macht eine Aussage, obwohl er auch schweigen dürfte. Allerdings verläuft die Vernehmung anders als erwartet. Denn Florian Kranz kann oder will sich an die Tötung selbst nicht erinnern. »Ich war betrunken«, erklärt er den Ermittlern. »Meine Erinnerung setzt erst wieder ein, als ich neben der Leiche stehe. Ich habe ein Messer in der Hand, und überall ist Blut. Das war wie ein Aufwachen.«
Kurz darauf habe er den Leichnam ins Badezimmer geschleppt und in der Wanne abgelegt. Mit einem Sägemesser will er den toten Körper zerteilt haben: erst die Arme, dann die Finger, den Kopf, schließlich die Beine. Die Leichenteile habe er in Plastiktüten gestopft und danach im Kühlschrank abgelegt. Danach sei er zu einer Geburtstagsparty gefahren und erst spät in der Nacht zurückgekehrt. Die Leichenteile habe er während der nächsten Stunden jeweils in einen Rucksack gepackt und sie einzeln zum Jachthafen gebracht und dort im hohen Bogen ins Wasser geworfen.
Während es Florian Kranz keine Schwierigkeiten bereitet, das Zerteilen des Leichnams minutiös zu schildern, will er sich mit anderen Aspekten der Tat nicht auseinandersetzen: Nein, er könne sich nicht daran erinnern, Holger Brandt getötet zu haben; nein, er habe das Geschlechtsteil nicht abgetrennt; nein, er könne nicht sagen, wo der Kopf der Leiche liegt; nein, es habe auch keine Vergewaltigung gegeben; nein, warum er das Opfer getötet habe, wisse er nicht. »Ich hatte einen Blackout«, sagt er stattdessen immer wieder mit tonloser Stimme, »ich war total besoffen.« Um 3.50 Uhr brechen die Ermittler die Vernehmung schließlich ab. Doch auch am nächsten Tag ergibt sich nach zweimaliger polizeilicher und einmaliger richterlicher Anhörung kein neuer Sachstand.
Florian Kranz will den Blick auf das Abgründige in ihm nicht freigeben. Wahrscheinlich schämt er sich für seine abnormen Bedürfnisse, die dunkle Seite, er fürchtet den
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