Aus reiner Notwehr
Hause.”
Sie fasste die Zipfel des um den Hals geschlungenen Handtuchs und sah ihn an. Beim letzten Mal – hier war das gewesen, direkt hier auf der Bahn – hatte er sie bis hinauf zu den höchsten Sternen getragen, und zu einem Zeitpunkt, an dem sie eigentlich ihren ganzen Verstand benötigte, brachte dieses unentwirrbare Knäuel von Emotionen sie völlig aus dem Gleichgewicht. Hatten sie nicht vereinbart, die Finger von allem zu lassen, was einem Neuanfang glich? “Was soll das, Sam?”
“Wenn ich das nur wüsste! Ich sag’s dir, sobald ich drauf komme.”
“Falls du an Sex denkst – schlag es dir aus dem Kopf! Ich schlafe nicht mehr mit dir.”
Er umfasste ihr Kinn mit der Hand und schaute ihr geradewegs in die Augen. “Heute Abend vielleicht nicht, Kate. Aber irgendwann doch, und beim nächsten Mal deshalb, weil es richtig ist und wir es beide wollen.”
“Dies ist doch alles verrückt”, flüsterte sie.
“Verrückt nicht. Eher unausweichlich.” Er hielt ihr die Wagentür auf. “So, auf geht’s. Ich fahre dir nach.”
26. KAPITEL
“K annst du dich noch an Mamas Beerdigung erinnern?”
Kate hatte sich in eine vor ihr liegende Liste vertieft, und die Frage ließ sie aufschauen. Amber stand an der Terrassentür und sah hinaus in den Garten. Draußen wurde es dunkel, die Luft war erfüllt mit den Geräuschen des hereinbrechenden Abends, und Kate feilte an letzten Details der für den kommenden Morgen angesetzten Bestattung. Zunächst stand die Totenwache am Abend in New Orleans an.
“Nicht so richtig.” Die Einzelheiten der Trauerfeier nahmen Kates Konzentration voll in Anspruch; Dutzende von Dingen mussten geregelt werden.
“Damals regnete es”, murmelte Amber leise. “Mama wurde morgens um zehn beerdigt, dein Daddy nachmittags um zwei.” Eine winzige grüne Eidechse, die an einem Farnblatt hing, zog ihren Blick an. “Ist eigentlich nicht fair, oder? Regen beim Begräbnis meiner Mutter, und bei Deke wunderbares Wetter.”
“Darauf würde ich mich nicht verlassen”, sagte Kate, legte den Stift nieder und lockerte Arme und Schultern. “Im August regnet es nahezu täglich.”
“Bloß Nachmittagsgewitter”, bemerkte Amber und zog die Vorhänge zu. “Bis dahin ist die Trauerfeier vorbei, alle sind wieder weg, und jeder wird sagen, was für eine würdige Beerdigung es war, die vielen, vielen Blumen, die schönen Worte zum Abschied.” Sie drehte sich um und sah ihre Freundin an. “Nur gut, dass keine Trauerrede von den Hinterbliebenen erwartet wird. Das würde die ganze Sache völlig auf den Kopf stellen.”
Kate gab keine Antwort und stand auf. Jetzt, nach Dekes Tod, brodelte Ambers Bitterkeit gefährlich nahe unter der Oberfläche. Als Witwe stand sie im Mittelpunkt des Interesses, Hunderte neugieriger Augenpaare waren auf sie gerichtet; der vermeintliche Selbstmord stellte ein beträchtliches Medienereignis dar, und die Sensationspresse lauerte bereits in den Startblöcken. Kate hoffte inständig, dass Amber diesem Druck standhalten konnte und sich nicht von ihren Gefühlen überwältigen ließ.
“Es wird Zeit für uns”, sagte sie und deponierte ihre Liste in einem Ablagefach neben Leos Hausbar. “Wir müssen uns noch umziehen.”
“Ich komme wohl nicht um die Totenwache herum, was?”, murmelte Amber.
“Ganz recht. So, ich helfe dir schnell beim Aussuchen, dann laufe ich rüber und schau nach Mutter. Sie will unbedingt mit.”
Als sie an Leos Arbeitszimmer vorbeigingen, trat Stephen heraus. “Ich habe alles gehört, Amber”, sagte er, und es war bemerkenswert, wie seine stürmischen Augen denen seines toten Vaters glichen. “Wir sind hier zu überhaupt nichts verpflichtet. Ich pfeife auf die Leute und auf die Beerdigung.” Er folgte ihnen ins Schlafzimmer. “Wir gehen einfach von hier weg, nach Kalifornien oder sonst wohin, wo ihn keiner kennt, und fangen ein neues Leben an.”
Amber ließ sich auf die Bettkante sinken, neigte den Kopf und massierte ihre Schläfen. “Hör auf, Stephen. Kate hat recht, wir kommen nicht um die Trauerkonventionen herum. Außerdem habe ich hier meine Arbeit, meine Karriere.” Sie ließ die Schultern hängen und fügte verbittert hinzu: “Wenn Deke durch dieses tolle Solofinale nicht schon alles kaputt gemacht hat.”
Stephen ging vor ihr in die Hocke, nahm ihre Hände und ließ seinen besorgten Blick über ihr Gesicht gleiten. “Bist du da sicher, Amber? Wir sind doch jetzt frei und ungebunden, wir können machen, was wir
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