Aus reiner Notwehr
gesund wirst”, gab Kate ebenso energisch zurück.
“Ich habe mich operieren lassen, ich habe der Chemotherapie zugestimmt, jetzt reicht es.”
“Du hast dich operieren lassen und mir nichts gesagt?” Kate war entgeistert.
“Du warst mitten in einer Scheidung, Kate.” Ein weiterer Hustenanfall schüttelte sie; sie drückte ihre Zigarette aus und lehnte sich bleich und ausgezehrt zurück. Als sie sprechen konnte, sagte sie: “Weißt du, diesen Robert habe ich nie gemocht.”
“Das hast du mir nie gesagt.” Allmählich fragte sie sich, was ihre Mutter ihr sonst noch verschwiegen hatte.
“Er hat sich in dich verliebt, weil du schön und gescheit warst und weil du ganz in deiner Arbeit aufgingst.” Sie beugte sich vor und nippte an ihrem Glas. “Und danach hat er sich beklagt, dass du ihn vernachlässigst, stimmt’s?”
“So ungefähr”, murmelte Kate. Sie war überrascht, dass ihre Mutter Robert so genau taxiert hatte, ohne ihn wirklich näher zu kennen.
“Und dann hat er eben anderswo Trost gesucht, oder?”
Trotz allem musste Kate lächeln. “Hast du etwa meine Post gelesen, Mutter?” Victoria rollte mit den Augen. “Er hat mich wegen einer Blondine sitzen lassen, die siebzehn Jahre jünger ist als ich.”
“Da hast du aber Glück gehabt.”
“Das sage ich mir auch immer”, sagte Kate und massierte sich seufzend die Stirn. Ihre Mutter hatte schon genug Probleme; sie brauchte sich wirklich nicht noch die ihrer Tochter anzuhören.
“Jetzt erzähl mal von St. Luke”, forderte Victoria sie auf. “Wann machen sie dich denn zur Oberärztin?”
“Daraus wird nichts, fürchte ich.” Kate nahm ihrer Mutter das Glas ab und ging zur Hausbar. Victoria musterte sie misstrauisch. Sie wich ihrem Blick aus, goss Wasser aus einem wunderschönen Baccarat-Krug in ein passendes Glas, tat Eis und eine Zitronenscheibe dazu und wandte sich wieder lächelnd ihrer Mutter zu. “Jake Grissom kriegt die Stelle. Ich habe ihn dir vorgestellt, erinnerst du dich? So ein großer, dünner Blonder, trägt eine Brille mit kleinen runden Gläsern und …”
“… und hat eine Glatze, wenn ich mich recht erinnere.” Ihre Mutter hatte sich etwas aufgesetzt. “Was willst du damit sagen, Jake Grissom kriegt den Job? Er macht einen ganz ordentlichen Eindruck, aber er hat deine Klasse bei Weitem nicht, Liebes!”
“Vielen Dank für dein Vertrauen, Mutter, aber …”
“Aber was?”
“Ach, nichts.” Sie behielt ihr Lächeln bei. “Es ging ohnehin nur um mich oder Jake, das hatte ich ja gesagt. Der Personalausschuss hat letzten Montag getagt, und sie haben ihn genommen. Schluss.”
Nachdem ich Joseph Carmello auf dem Gewissen hatte.
Sie stellte ihrer Mutter das Glas in Reichweite und bewegte sich zu der mit einem Rundbogen verzierten Haustür. “Kann ich dich einen Moment allein lassen? Ich will nur noch ein paar Sachen aus dem Auto holen.”
“Der Wagen muss zur Vermietung zurück”, sagte Victoria. “Du kannst solange meinen nehmen.”
“Es ist kein Mietwagen. Ich bin mit dem eigenen gefahren.”
“Die ganze Strecke?” Victoria staunte.
Kate rang sich noch ein Lächeln ab. “Ist doch alles Interstate-Schnellstraße.”
Ihre Mutter sah sie genau an. “Der Besuch muss sich dann aber lohnen! Wenn du so lange unterwegs warst …”
“Bis wann kannst du mich denn gebrauchen?”
“So lange du willst”, erwiderte Victoria ohne Zögern.
“Das ist schön.”
Victoria stöhnte unterdrückt auf und lehnte sich zurück, und Kate war blitzschnell an ihrer Seite. Die Farbe war aus den Lippen ihrer Mutter gewichen, ihre Haut feucht von Schweiß. “Übelkeit?” Victoria nickte kaum merklich und hielt die Augen geschlossen. “Atme kurz und tief, Mama.” Das Kosewort aus Kindertagen kam so selbstverständlich wie das Gefühl, das nun in ihr aufwallte. “Genau so. Langsam und tief atmen – ein … aus … ein … aus …”
Endlich begannen Victorias Lider zu flattern; sie schlug die Augen auf und drückte Kates Hand. “Kate, Kate”, wisperte sie. “Ich bin so froh, dass du nach Hause gekommen bist.”
Für einen Moment glaubte Kate, sie sei ertrunken. Dann tauchte sie auf aus ihrem Albtraum und versuchte, in dem kalten Meerwasser nach etwas zu greifen. Ihre wild herumfuchtelnden Arme stießen das Wasserglas auf dem Nachttisch um, und der Inhalt durchnässte die zerwühlten Laken. Langsam verblasste der in ihrem Kopf ablaufende Horrorfilm und sie registrierte, dass sie nicht das Brüllen
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