Aus reiner Notwehr
gesetzt; ihr eigener Chef würde sie sein. Aber die Patienten, deren Leben von ihr abhing? Was war mit denen?
“Ach was, nein, nicht im Krankenhaus”, sagte Leo energisch. “Nein, hier, Kate, in meiner Praxis! Ich denke schon geraume Zeit an Ruhestand. Du könntest für mich einspringen und dafür sorgen, dass hier nichts anbrennt, wenn ich’s mit der Rente versuche.”
Sie schaute ihn verständnislos an. “Meinst du das im Ernst?”
“Dass du hier anfängst, oder dass ich aufhöre?”
“Na, beides! Du kannst doch gar nicht Schluss machen! Was würde die Stadt denn machen ohne ihren Dr. Leo?”
“Das, was die Leute die letzten Jahre schon gemacht haben: zu Sam gehen.”
“Welcher Sam?”
“Sam Delacourt. Wenn ich einer von der eifersüchtigen Sorte wäre, müsste ich ihm schon mächtig böse sein, so, wie er mir die Stammpatienten wegschnappt.” Leo rollte die Zigarre in den Mundwinkel. “Deine Mama übrigens auch. Behauptet, Sam wisse viel mehr als ich. Dabei ist er nur jünger und sieht besser aus. Ich durchschaue Victoria, und ich hab’s ihr auch gesagt.”
Kates Herz raste. “Mutter ist bei Sam Delacourt in Behandlung?”, brachte sie mühsam hervor.
“Genau.” Er schniefte beleidigt. “Sie dachte wohl, es wäre zu viel Stress, wenn ich ihren Krebs behandle, deshalb ist sie zu Sam gegangen.”
“Ihr seid so lange befreundet”, murmelte sie, aber ihre Gedanken irrten ziellos umher. “Möglicherweise wär’s problematisch.”
“Damit wäre ich schon fertig geworden”, grummelte er, nahm die Zigarre aus dem Mund, schaute sie missmutig an, und fügte dann hinzu: “Aber es ist schon hart, mit ansehen zu müssen, wie sie unter dieser vermaledeiten Chemotherapie leidet.”
“Wie oft ist Sam hier?”
“Hat Vicky dir das nicht gesagt? Er ist mit Kind und Kegel nach Bayou Blanc gezogen. Hat das Haus von Jacques Gautreau in der Vermilion Lane gekauft.”
Zehn Minuten zu Fuß vom Haus ihrer Mutter. Kate stand erneut auf, nahm eine alte Ausgabe des
Journal of the American Medical Association
von Leos Bücherregal und blätterte sie zum Schein durch. Von allen Ärzten, die ihre Mutter hätte konsultieren können, wäre Sam Delacourt für Kate die allerletzte Wahl gewesen. Sie hätte sie nicht mal wegen eines eingewachsenen Zehennagels zu Sam geschickt, geschweige denn bei einer möglicherweise unheilbaren Krebserkrankung.
“Suchst du etwas in der alten
JAMA
, mein Schatz?”
Kate warf das Heft wieder hin und sah ihn an. “Heißt das, dass Sam sich in Bayou Blanc richtig als Arzt niedergelassen hat?”
“Nicht nur in Bayou Blanc. Er ist hier.”
“Hier?” Sie starrte auf die Tür. “In deiner Praxis?”
“In
unserer!
Er hat sich in die Gemeinschaftspraxis eingekauft.”
“Und was ist mit seinen New Yorker Teilhabern?”, fragte Kate. Sie war erschrocken. Nicht wegen der Teilhaber, sondern aus rein persönlichen Gründen. Sie war immer zu Leo gerannt, wenn Victoria ihr die Nestwärme, die sie brauchte, nicht zu geben vermochte. Jetzt, da Sam hier war, in Leos Praxis, gab es keine Zuflucht mehr für sie. Nirgendwo.
“Gibt es da nicht eine Bestimmung, nach der ein Arzt erst nach einer Karenzzeit bei einem Konkurrenten einsteigen darf?”, fragte sie.
“Nicht, wenn seine eigenen ursprünglichen Teilhaber die Gemeinschaftspraxis aufgeben. Und das haben Sams Kollegen gemacht.” Leo lehnte sich zurück. “Nicht genug Patienten, um bei den gewaltigen Fixkosten die Praxis bestehen zu lassen. Und als er mich wegen einer möglichen Partnerschaft ansprach, ergriff ich die Gelegenheit beim Schopf. Sam ist Spitze auf seinem Gebiet, weißt du.”
Kate brummte nur. Von ihr hatte Sam keine Komplimente zu erwarten. “Aber ich kapiere nicht, dass er sich hier in der Provinz vergräbt, wo er in der City doch so eine Schickeria-Reputation genießt.”
“Unter den gegebenen Umständen wird er wohl seine Prioritäten neu ordnen wollen. Wenn du weißt, was ich meine.”
Sie blickte ihn an. “Wieso sollte ich wissen, was du meinst?”
Leo erwiderte fragend ihren Blick. “Ich dachte, du könntest einen Mann verstehen, der seine Prioritäten neu ordnet, wo du doch Sonderurlaub nimmst und nicht so recht festlegen willst, wie lange. Das hört sich auch ziemlich nach Neuordnung an.”
Sie wandte ihren Blick ab. “Ich vermag lediglich nicht so recht zu sehen, dass jemand wie Sam Delacourt seine berufliche Zielsetzung überprüft, Leo. Er ist ein überehrgeiziger, arroganter Streber, der
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