Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aus reiner Notwehr

Aus reiner Notwehr

Titel: Aus reiner Notwehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Young
Vom Netzwerk:
ihrer Kindheit so selten für sie da gewesen war.
    Stattdessen sagte er: “So kann das nicht weitergehen.” Sie reagierte mit einem Achselzucken. “Mallory, ich weiß, das ist eine schwierige Zeit für dich, für uns beide. Ich wollte, ich könnte dir helfen.” Keine Reaktion. “Mallory?”
    Immer noch schweigend hob sie ihr Haar im Nacken, ließ es wieder zurückfallen, strich sich eine Strähne hinter ein Ohr und starrte weiter finster ins Leere.
    “Mallory, nun sag doch was! Soll das denn ewig so gehen? Wie kann ich denn etwas ändern, wenn ich nicht weiß, was los ist?”
    Sie schien einen Moment wie vom Donner gerührt und sah ihn fassungslos an. “Was los ist? Sag mal, spinnst du? Was
los
ist?” Ihre Stimme wurde laut und hysterisch. “Meine Mutter ist gerade gestorben, mein Herr Vater nimmt meine Existenz endlich zur Kenntnis und benimmt sich wie ‘n tyrannisches Monster! Wir haben Ferien, aber ich sitze wie ‘n Sträfling in meiner Bude! Da fragst du, was los ist?” Sie lachte kurz und ironisch. “Ach, nichts ist los, Dad, alles cool. Nur keine Sorge!”
    “Dass Mutter tot ist, tut mir furchtbar leid. Ich wollte, ich hätte es verhindern können.”
    “Aber klar doch!”
    “Das glaubst du mir nicht?”
    Sie schaute wieder durch die Seitenscheibe. “Du bist Arzt”, sagte sie hölzern. “Du hast getan, was du konntest.”
    Wirklich? Habe ich das wirklich? “
Sie litt unter starken Schmerzen, Mallory.”
    Über ihr Gesicht lief ein leichtes Zucken. “Dann war’s ja so besser für sie.”
    “Mallory, das habe ich nicht gesagt.”
    “Aber gedacht. Alle haben das gedacht!”
    Sam schloss die Augen, ihm wurde erneut schlecht. Seine Tochter hatte recht. Wie sollte er sie trösten? “Man darf es den Leuten nicht krummnehmen, wenn sie … wenn sie versuchen …”
    “… einen Vorwand zu finden?”, sagte sie und wandte ihm ihr Gesicht zu. “Damit es nicht so wehtut? So was wie ‘Ach, Mallory-Schätzchen, es ist furchtbar schlimm für dich, aber für deine Mami ist es besser so, glaub’s mir’?” Ihr Gesicht verzog sich, und sie konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. “Weil sie ja sowieso nicht mehr richtig tickte! Das ist es, was sie denken! Nicht wegen ihrem Krebs, sondern weil sie fünf Jahre lang mehr Gespenst als Mensch war, seit … seit der Sache damals. Aber das können sie ja nicht sagen, und deshalb wollen sie uns weismachen, ihr Tod wäre eine Erlösung gewesen. Das ist genauso bescheuert! Kommt mir vor, als würden alle nur Schwachsinn labern!”
    Sam hielt in der Garageneinfahrt und rang nach Worten. “Mama war geistig nicht mehr sie selbst seit diesem … diesem Unfall, Mallory …”
    “Es war kein Unfall”, erwiderte sie kläglich. “Sie wollte sich umbringen.”
    Noch immer löste Elaines Tat in ihm Schuld- und Versagensgefühle aus. Aber es war Mallory gewesen, die nach dem Suizidversuch am schrecklichsten gelitten hatte. Er streckte die Hand aus, doch sie wich zurück. “Ich weiß, du wirst mir das nicht glauben, Mallory”, sagte er niedergeschlagen. “Nur denke ich, deiner Mutter war klar, dass sie einen Riesenfehler gemacht hatte, den sie bitter bereute. Auch wenn sie nie wieder so war wie vorher: Du warst doch ihr Mädchen, sie hat mitbekommen, was du für sie getan hast, und sie hatte dich ganz, ganz lieb. In deiner Gegenwart ging’s ihr stets besser. Sie würde es nicht wollen, dass du dich so quälst!”
    Mallory war in Tränen aufgelöst, hielt sich die Hände vor das Gesicht und schüttelte stumm den Kopf.
    “Mallory, es ist so!” Es brach ihm fast das Herz, dass sie es nicht wahrhaben wollte.
    “Warum hat sie dann diese Tabletten genommen? Wenn eine Mutter das Leben so hasst, dass sie so etwas tut – was meinst du, wie man sich als Tochter da fühlt? Sie wusste doch, du warst als Vater nicht so doll, sie wusste doch, dass sie mich allein lässt! Oder etwa nicht?”
    Mallorys Worte drangen scharf wie ein Skalpell in sein Fleisch, und auch wenn sie sich mit kindlicher Unbeholfenheit ausdrückte – ihr Schmerz und ihr Kummer schnitten tief in seine Seele und beschämten ihn bis ins Mark. Das düstere Erbe, das Kinder antreten mussten, wenn ein Elternteil Selbstmord beging, war schlimm genug. Wer aber dachte an den, der übrig blieb und die Scherben aufsammeln musste? Sam fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Was für einen jämmerlichen Eltern-Ersatz musste er abgegeben haben!
    “Als sie … sie das gemacht hat, Mally, da konnte sie

Weitere Kostenlose Bücher