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Aus reiner Notwehr

Aus reiner Notwehr

Titel: Aus reiner Notwehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Young
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joggen?”
    “Laufen lockert mich bei Spannungszuständen.” Sie war froh, dass das Handtuch ihr Gesicht verdeckte. “Liegt sicher an dem Wechsel von Boston nach hier. Ich habe mich wohl noch nicht so richtig akklimatisiert.”
Codys Unfall. Meine Nerven. Sams Verdacht. Sam, Ende. Punkt. “
Warte nicht auf mich”, sagte sie und wies auf das Tablett. “Trink deinen Tee.”
    “Nimm dir auch eine Tasse; das entspannt. Es ist eine Kräutermischung, Amber hat sie in einem Naturkostladen gekauft. Schmeckt wie eingeweichter Bindfaden, aber sag’s ihr nicht weiter. Und da ich dachte, dass dir nach etwas Stärkerem sein könnte, habe ich noch einen Schuss Whisky hinzugefügt.”
    Kate legte das Handtuch beiseite, fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und strich sie glatt nach hinten. Ihre Mutter erzeugte eine Atmosphäre, wie sie in dieser Intimität nie zuvor zwischen ihnen existiert hatte. Als Kind hatte Kate sich nach einem solchen gemeinsamen Band gesehnt; ob jetzt der richtige Zeitpunkt dafür war, konnte sie nicht mit Sicherheit sagen. Tee mit Schuss war jedoch etwas anderes, das war jetzt genau das Richtige.
    “Lauf nicht so nervös hin und her! Setz dich!” Kate lachte kurz und hilflos auf ob des Befehlstons ihrer Mutter, ließ sich aber auf einer Ottomane nieder. “Ich habe dich und Sam auf Ambers Party beobachtet; ihr machtet auf mich einen … wie soll ich sagen … den Eindruck, als wäre etwas Wichtiges zwischen euch. Übrigens hat er heute Nacht hier angerufen und nach dir gefragt.” Sie sah demonstrativ zu der in der Ecke liegende Jacke. “Ich nehme an, er hat dich auf der Joggingbahn gefunden. Und dann fiel mir wieder meine Beobachtung bei der Party ein.”
    “Mutter, da bildest du dir etwas ein. Es ist nichts.”
    “Sicher nur Wunschdenken meinerseits”, sagte Victoria und schaute in ihren Tee. “Sam war sehr gut zu mir seit … dieser Sache.” Sie berührte ihr Kopftuch.
    “Er ist ein hervorragender Arzt! Dass du dich bei ihm gut aufgehoben fühlst, kann man klar sehen.”
    “Ich würde mich auch bei dir gut aufgehoben fühlen, Kate.” Sie hob leicht die Hand. “Ich will nur nicht, dass du dich auch mit der … der unangenehmen Seite befassen musst.”
    Kate merkte, wie ihre Lippen zu beben begannen und wie gerne sie die Schranken zwischen ihnen niedergerissen hätte. “Die Realitäten und die Folgen einer Krankheit sind Teil meines Berufes, Mutter. Was habe ich verbrochen, dass du glaubst, ich würde nicht von Herzen gern alles tun wollen, um dir zu helfen?”
    Victorias Gesicht nahm den Ausdruck tiefer Verzweiflung an. “So habe ich das nicht gemeint, Kate. Ich möchte nur, dass du bei mir bist, aber nicht, dass du alle diese … diese Sachen machen musst.” Ein leichtes Schaudern überlief sie. “Es ist entsetzlich, ich verabscheue es.”
    “Ich könnte beides machen”, sagte Kate leise. Sie hätte nie geglaubt, dass ihre Mutter sie einfach nur um sich haben wollte.
    “Das weiß ich. Aber ich möchte es nicht.”
    Kate trank ihren Tee aus, trat ans Fenster und zog die Vorhänge beiseite. Der Regen hatte aufgehört. Das Haus der Yeagers schräg gegenüber lag im Dunklen; Nick wachte sicher im Krankenhaus bei Cody. Ob Sam auch dort war? Oder zu Hause? Ob er sich auch fragte, was in aller Welt in dieser Nacht über sie gekommen war?
    Victoria stellte ihr Teegeschirr ab. “Das Verhältnis zwischen uns beiden war nie ganz problemlos, nicht wahr, Kate? Manche meiner Freundinnen telefonieren nahezu täglich mit ihren Töchtern, auch über Hunderte von Meilen. Eine kann nicht einmal ein Möbelstück kaufen oder ein Allerweltsschmuckstück aussuchen, ohne vorher ihre Tochter zu konsultieren. Wieder eine andere spürt geradezu, wenn ihre Tochter in Schwierigkeiten ist.” Mit einem traurigen Blick schaute sie Kate an. “Ich weiß zwar nicht, woher ein solches Einfühlungsvermögen zwischen Müttern und Töchtern stammt, aber ich denke, ich weiß, wann es zwischen uns verloren gegangen ist: an dem Tag, als dein Vater und Caroline Castille starben. Und irgendwie habe ich immer das Gefühl gehabt, dass es meine Schuld war.”
    Kate ließ die Vorhänge los, und der schwere Stoff schloss sie ein in jenem Zimmer, in dem sie unzählige Stunden darüber gegrübelt hatte, was damals auf der Yacht vorgefallen war. Es kam schon einer Ironie des Schicksals gleich, dass ihre Mutter ausgerechnet heute Nacht darüber zu sprechen bereit war, zu einem Zeitpunkt, an dem sie, Kate, unter einer Art

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