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Aus reiner Notwehr

Aus reiner Notwehr

Titel: Aus reiner Notwehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Young
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wurde, wenn es sich bei dem Patienten um ein Kind handelte, oder – und dies mag seltsam klingen – um misshandelte Frauen. Es war entsetzlich; ich verlor völlig die Kontrolle über mich, wusste aber nicht, warum.” Sie schüttelte hilflos den Kopf. “Und nach allem, was heute Nacht geschehen ist – wer weiß, ob ich nicht durch mein Versagen erneut das Leben eines Patienten in Gefahr bringe?”
    “Das ist also passiert? Du hast den Kopf verloren? Leo deutete an, dass irgendetwas bei dir ungewöhnlich war; dass du zunächst zwar völlig normal vorgegangen seiest, dann aber eine Art Blackout einsetzte.”
    Kate legte die Stirn in Falten, und ihr Blick schien durch Victoria hindurch ins Nichts zu gleiten. “Mir war, als wären Raum und Zeit auf einmal völlig anders. Diese albtraumhaften Bildfetzen, als Cody dalag – Blut, Panik, ein schreckliches Tosen, einfach furchterregend! Cody verblutete mir unter den Händen, und ich geisterte durch eine Art seelische Dämmerung. Ich wusste einfach nicht mehr weiter. Wenn Leo und Sam nicht gewesen wären …”
    “Aber sie waren da.” Victoria saß für einen Moment in Gedanken versunken, und Kate überkam eine merkwürdige Erleichterung, da sie ihre mentale Last nunmehr mit ihrer Mutter teilte. Der späte Zeitpunkt ihrer gegenseitigen Bekenntnisse machte weitere Zurückhaltung wohl überflüssig; es war höchstens bedauerlich, dass es so lange gedauert und solch tumultartiger Ereignisse bedurft hatte, bis die alten Schranken zwischen ihnen gefallen waren.
    “Stress, Kate”, kommentierte Victoria und führte die Erscheinungen auf die Scheidung zurück. Für ihre Tochter war das keine akzeptable Erklärung. “Ein Unfallchirurg kann sich einen Luxus wie Stressanfälligkeit nicht leisten, Mutter. Ein einfacher Landarzt übrigens auch nicht.” Und nach kurzer Pause fügte sie ganz leise hinzu: “Und hier geht es jetzt auch wieder los. Ich dachte, es wäre vorbei, nach Boston. Es ist ein furchtbares Gefühl. Als spüre man die Gegenwart des Bösen selbst.” Sie sah ihrer Mutter voll ins Gesicht. “Was ist das bloß?”
    Victorias Hand wanderte unsicher zum Kopf. “Unser Unterbewusstsein ist etwas Mysteriöses. Du hattest in letzter Zeit viel um die Ohren – Scheidung, die Vorfälle im St. Luke, deine Suspendierung. Du wirst sehen, es wird besser werden, wenn du dich hier an einen neuen Rhythmus gewöhnst und eine neue Perspektive gefunden hast. Aus welchem Grund genau bist du eigentlich suspendiert worden?”
    Kate gab einen knappen Bericht der Vorfälle, die zu ihrer Beurlaubung geführt hatten. Sie schloss mit Charlene Millers Tod. “Sie hatte viel Blut verloren, und die Schwangerschaft erschwerte alles noch.” Sofort sah sie das kleine Mädchen vor sich. “Diese Charlene Miller hatte ein etwas sechs Jahre altes Töchterchen namens Lindy, und für das Kind schien der Anblick ihrer schrecklich zugerichteten Mutter nichts Außergewöhnliches darzustellen.” Kate ließ ihren Blick zu ihrer Mutter wandern. “Diese Augen, dieses Gesicht! Das hat mich damals tief getroffen. Was mit dem Vater passiert ist, weiß ich nicht; möglicherweise ist er wegen Körperverletzung mit Todesfolge oder wegen Totschlags angeklagt worden. Wahrscheinlich entlässt man ihn schon nach kurzer Zeit wieder aus dem Gefängnis, damit er die nächste Frau verprügeln kann.”
    Victoria wiegte sich sanft in dem Schaukelstuhl, und ihre Gedanken schienen ganz woanders. “Aufgeben, Kate, ist keine Lösung.”
    Kate nahm wortlos wieder das Tablett auf, aber ihre Mutter ergriff sie energisch beim Arm. “Du darfst dich von dieser Sache nicht unterkriegen lassen! Man kann sich natürlich in eine Ecke verkriechen und bemitleiden, aber dadurch bekommt man keine Antworten, und fertig wird man mit der Angelegenheit so auch nicht. Vergeude damit nicht deine Zeit, sondern tu das, was du am besten kannst, das, was du gelernt hast!”
    “Wenn es nach Sam geht, werde ich keine Wahl haben. Er war von Anfang an von meinem Einstieg in Leos Praxis nicht begeistert, und nun habe ich ihm selbst das beste Mittel an die Hand gegeben, mich loszuwerden.”
    “Den Gefallen darfst du ihm nicht tun”, erwiderte Victoria. “Jetzt heißt es kämpfen, Mädchen! Und Leo wird nicht zulassen, dass du gehst; er ist so froh, dass er dich hat.”
    “Wer braucht schon eine Ärztin, die die Nerven verliert, wenn’s ernst wird?”
    “Die Praxis braucht dich. Du hast lediglich eine schlechte Phase, aber das geht

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