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Aus reiner Notwehr

Aus reiner Notwehr

Titel: Aus reiner Notwehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Young
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außer sich. “Jesus, das ist doch lebensgefährlich!”
    Sie machte keine Anstalten, die Jacke überzustreifen. “Ich bin vom Regen überrascht worden. Und es waren doch auch noch Leute da! Ich …”
    “Du musst doch die Blitze gesehen haben! Und die anderen waren gescheit genug, beim ersten Regentropfen das Weite zu suchen. Meine Güte, meinst du, dein Schutzengel wäre etwas Besonderes?” Er stand vor ihr, den Rücken gegen das Scheinwerferlicht, das Gesicht im Schatten.
    “Woher wusstest du, dass ich hier bin?”
    “Ich hatte mir gedacht, dass du von der Rolle sein würdest, nach deinem Aussetzer bei Cody.” Seine Hand fuhr durch sein nasses Haar und versprühte einen Tropfenschwall. “Und bei Stress gehst du immer laufen, da brauchte ich nicht lange zu überlegen.”
    Der grell gezackte Pfeil eines Blitzes ließ sie zusammenzucken und tauchte die Dunkelheit für einen Sekundenbruchteil in ein blendendes Weiß. Ein ohrenbetäubender Donnerschlag folgte. “Selbst bei einem Gewitter?”, fragte sie ironisch.
    “Ja, man glaubt es kaum.” Er nahm ihr die Jacke aus der Hand, schüttelte das Wasser ab und legte sie ihr um die Schultern. “Zieh das nasse T-Shirt aus; wir müssen hier wohl ausharren, bis das Schlimmste vorüber ist. Ich habe nicht die Absicht, bei diesem Unwetter unter den hohen Bäumen zum Auto zu hetzen und Mallory zur Vollwaise zu machen.”
    Er hatte recht. Erst jetzt, da ihr Puls sich normalisiert hatte, merkte sie, wie kalt und elend ihr war. Was in aller Welt war in sie gefahren, sich in einen solchen Schlamassel zu begeben?
    “Ziehst du nun das T-Shirt aus, oder willst du hier weiter vor dich hin bibbern?”
    “Dreh dich um!”
    Er gehorchte und schaute in die regennasse Schwärze, die Hand gegen die roh behauenen Holzbalken gestützt. Unablässig fiel der Regen in Sturzbächen, zeigte keine Anzeichen des Nachlassens; Sturmböen heulten um den Unterstand. Blitze erhellten immer noch den Himmel, und das fortwährende Grollen des Donners übertönte jeden Versuch einer Unterhaltung.
    Kate zog das tropfnasse T-Shirt über den Kopf und legte es über die Lehne der Bank; rasch fuhren ihre Hände in die Ärmel der Nylonjacke, und es war, als würde sie mit einem Schlage von Sam selbst umfangen. Für einen Moment glaubte sie, ihr Gesicht in das Nylongewebe vergraben zu müssen. Vor fünf Jahren hatte eine Verbindung zwischen ihnen bestanden, die Aussicht auf etwas Wunderbares. Nichts, aber auch gar nichts in ihrem Leben enthielt dieses Wunderbare, und plötzlich wurde sie von einer solchen Sehnsucht erfüllt, dass es sie geradezu erschreckte.
    Katastrophengedanken! Sie erhob sich jäh, begab sich zur anderen Seite der Schutzhütte, so weit weg von Sam wie nur möglich, und schaute hinaus in das Toben des Sturmes. Zwischen den Donnerschlägen drang undeutlich seine Stimme zu ihr durch.
    “Bevor ich bei Cody eintraf – was war da? Ich will wissen, warum du die Nerven verloren hast.”
    Sie war froh, dass er ihr Gesicht nicht sehen konnte. “Erschöpfung, nehme ich an. Waffenmissbrauch, Gewalt … noch ein junges Opfer, und dieses Mal kannte ich es auch noch.”
    “Ist dir das schon einmal passiert?”
    Sie senkte den Kopf, massierte sich die Stirn und sah ihn an. “Sam, ich will nicht verhehlen, dass mich die Ereignisse von heute Nacht furchtbar mitgenommen haben. Aber ich habe keine Lust, hier und jetzt Erklärungen abzugeben. In den letzten fünf Jahren musste ich Dutzende, wenn nicht Hunderte von Schusswunden behandeln, und ich habe immer das Richtige getan. Außerdem kamst du dann dazu, und wir wissen ja beide, es gibt keine noch so schwierige medizinische Situation, die du nicht meisterst.” Der Sarkasmus in ihrer Stimme war ihr egal.
    “Du meinst also, wenn ich nicht anwesend gewesen wäre, hättest du das getan, wofür du ausgebildet wurdest?”
    Ich sage doch, ich weiß es nicht! Ich weiß es nicht! Ich weiß es nicht!
    Mühsam zwang sie sich zur Ruhe. “Ich habe bereits mehrfach wiederholt, dass ich nach der Unfallchirurgie einmal etwas anderes versuchen wollte, deswegen bin ich hier und nicht in Boston.”
    “Du starrtest auf deine Hände, und du warst leichenblass. Medizinstudenten im ersten Ausbildungsjahr sehen öfter so aus, und zack, eh du dich versiehst, kippen sie aus den Latschen, oder sie kotzen in den nächsten Eimer. Einige tauchen nie wieder auf, weil sie plötzlich gemerkt haben, Medizin ist nichts für sie! Und deshalb will ich wissen, was los ist. Ich war

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