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Aus reiner Notwehr

Aus reiner Notwehr

Titel: Aus reiner Notwehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Young
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Unterstand gefangen. Auch der Orkan ihres eigenen Irrsinns hatte sich gelegt. Wie vorher stand Sam an den Eckpfosten des Unterstandes gelehnt. Sie konnte nur mit Mühe die Umrisse seines Gesichts erkennen, aber sie wusste, er war ebenso aufgewühlt wie sie. Und genauso zornig.
    Sie wollte weg, nur weg; ihre nassen Shorts klebten ihr unangenehm auf der Haut, und ihre vollgesogenen Laufschuhe machten bei jeder Fußbewegung ein glucksendes Geräusch.
    Er starrte in den Regen. “Ich habe keine Erklärung dafür”, sagte er plötzlich.
    Sie zog den Reißverschluss seiner Windjacke zu. “Dumm gelaufen.”
    Er wandte sich um. “Kate …”
    Sie schnappte ihr klatschnasses T-Shirt. “Das Gewitter ist vorbei. Wir sehen uns morgen.” Bevor er reagieren konnte, war sie schon an ihm vorbeigeschlüpft und sprintete zu ihrem Wagen.

18. KAPITEL
    W ährend der Autofahrt nach Hause fiel Nieselregen, und Kate zwang sich dazu, nicht nachzudenken. Ihr Leben drohte völlig aus der Bahn zu geraten: Codys Unfall hätte durch ihr Versagen um ein Haar in einer Tragödie geendet, als Medizinerin schien sie in einer Sackgasse zu stecken, sie musste hilflos zusehen, wie es mit ihrer Mutter mehr und mehr zu Ende ging. Und nun hatte sie obendrein noch mit Sam Delacourt geschlafen.
    Sie parkte, stieg aus und schloss leise die Haustür auf. Geräuschlos trat sie ein, stellte ihre Sporttasche ab und schlich auf Zehenspitzen zu dem kleinen Wandschrank, in dem ihre Mutter eine bescheidene Auswahl von alkoholischen Getränken bereithielt.
    “Kate?”
    Auch das noch. Sie hatte nicht die geringste Lust auf ein Gespräch mit ihrer Mutter, die mit ihrer unbestechlichen Menschenkenntnis sofort erfassen würde, was geschehen war. Aber es war zu spät. Kate ließ den Wandschrank zu und nahm stattdessen eine Flasche Orangensaft aus dem Kühlschrank.
    “Du bist ja völlig durchnässt, Kate!” Sie bot in der Tat einen erbärmlichen Anblick. “Bei diesem Wetter warst du doch nicht etwa laufen?”
    “Doch, Mutter, und bitte spar dir deine Gardinenpredigt, ich hab’s kapiert, ich bin nass bis auf die Haut, ich bin hundemüde und ich könnte mich ohrfeigen.”
    “Wem gehört denn die Jacke?”
    “Sam Delacourt.”
    Ihre Mutter sah sie prüfend an. “Der war auch auf der Joggingbahn?”
    “Leo hat jetzt gleich zwei Geisteskranke in seiner Praxis”, bemerkte Kate sarkastisch und öffnete die Flasche.
    Mit einem Kopfschütteln nahm Victoria sie ihr ab und stellte sie in den Kühlschrank zurück. “Zieh dir etwas Trockenes an, Kind, du holst dir sonst noch den Tod. Ich mache uns einen Tee und bringe ihn hoch. Und dann kannst du mir auch gleich erklären, warum du unter dieser Jacke da nichts anhast.”
    Kate verspürte in ihrer augenblicklichen Gemütsverfassung wenig Neigung, darauf einzugehen. Sie verließ hastig die Küche, schnappte sich ihre Sporttasche, rannte die Treppe hinauf und in ihr Zimmer, warf Sams Jacke wütend in die Ecke, schlenkerte sich die Laufschuhe von den Füßen und schälte sich aus ihren pitschnassen Shorts, wobei sie ihr Höschen aus einer Tasche fischte. Zum Glück war sie zumindest einigermaßen anständig angezogen nach Hause gefahren, denn sie hatte es mehr als eilig gehabt, von Sam wegzukommen.
    Unter der Dusche hoffte sie, alles abwaschen zu können: wie er roch, wie er schmeckte, wie sie ihn tief in sich fühlte, und sie ließ den Wasserstrahl auf ihre Haut peitschen, bis Geräusche aus dem Schlafzimmer ankündigten, dass Victoria ihr mütterlichen Beistand anzubieten gedachte. Aber mit einer Tasse Tee, dachte Kate, sind meine Probleme leider nicht zu lösen.
    Sie trocknete sich ab, hüllte sich in einen flauschigen Frotteebademantel, wickelte sich ein Handtuch wie einen Turban um ihre nassen Haare, holte tief Luft und verließ das Bad.
    Ihre Mutter saß in einem Schaukelstuhl, neben sich auf dem Piecrust-Tischchen das Tablett mit den Teeutensilien, und im milden Schein der Nachttischlampe glich ihr Gesicht einem bleichen, geisterhaften Oval. Das Kopftuch war verrutscht und gab einen Teil ihrer Kopfhaut frei, und Kate schnürte es die Kehle zusammen. So wehrlos und verletzlich hatte sie Victoria selten gesehen.
    “Mutter, geh schlafen; es ist nach Mitternacht. Du hast doch sicher ein Schlafmittel, für alle Fälle?” Kate wickelte das Handtuch ab und rubbelte sich die Haare.
    “Ich brauche nicht mehr viel Schlaf; ich war wach und hörte dich kommen. Warum musst du denn um diese Zeit und bei diesem Wetter noch

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