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Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik

Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik

Titel: Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Carreras
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aufgesprungen, und die Sängerin musste immer wieder vor den Vorhang treten, um die Huldigungen entgegenzunehmen. In diesen Augenblicken konnte ich mir noch nicht vorstellen, dass ich nur ein Jahr später in der Rolle des Jungen Trujamán in de Fallas Kurzoper Meister Pedros Puppenspiel auftreten und etwas später an der Seite der von mir bewunderten Renata Tebaldi in Puccinis Oper La Bohème den Satz des kleinen Jungen singen sollte, der ein Spielzeugpferd haben will. Ich fühlte mich überaus glücklich, und noch jetzt, während ich daran denke, ist mir bewusst, dass ich es auch im höchsten Grade war.
    Ebenso steht mir der Tag deutlich vor Augen, an dem ich im Stadion Camp Nou mein erstes Fußballspiel sah. Im Liceu hatte ich neben meinem Vater im fünften Rang gesessen, und auch in Camp Nou befanden wir uns nicht näher am Ort des Geschehens und sahen das Spiel von weit über dem Südtor. Zwar erinnere ich mich nicht an das genaue Datum, wohl aber an die Partie. Es war im Herbst 1958, kurz nach der Einweihung des neuen Stadions – in das alte Stadion Les Corts hatte mein Vater mich nicht mitnehmen wollen, weil er fürchtete, dass es dort einmal zu einer Massenpanik
mit schlimmen Folgen kommen könnte –, als Barça die »Weißen« von Real Madrid mit Kopa, Di Stéfano, Puskás und Gento vernichtend schlug. Drei Treffer erzielte allein Evaristo, der zusammen mit Kubala und Suárez ein hervorragendes Spiel ablieferte und den Gästen mächtig einheizte. Das vierte Tor, mit dem das Ergebnis des Tages abgerundet wurde, steuerte Tejada bei. Ich muss zugeben, dass dieser Stadionbesuch für mich ebenfalls ein außerordentlich eindrückliches Erlebnis war, auch wenn es für mein späteres Leben keine besondere Bedeutung hatte – oder doch ein wenig, denn ich bringe es durchaus fertig, mir zwischen Gesangsverpflichtungen Termine frei zu halten, wenn es darum geht, ein wichtiges Spiel meines Vereins zu sehen.

    Dem zehnjährigen José, der nachmittags das städtische Konservatorium besuchte, hatten die Eltern für fünfzig Peseten im Jahr ein Klavier gemietet, damit er üben konnte, was ihm seine Lehrerin Magda Prunera in den Unterrichtsstunden beibrachte. Monate, nachdem er im Benefizprogramm von Radio Nacional aufgetreten war, teilte ein Direktionsmitglied des Gran Teatre del Liceu den Eltern Carreras mit, man beabsichtige ihn in einer Aufführung von de Fallas Meister Pedros Puppenspiel einzusetzen, die kein Geringerer als der berühmte Pianist José Iturbi dirigieren sollte. Die ihm zugedachte Rolle war Trujamán, der Sohn jenes Meisters Pedro. Das brachte große Aufregung in die Familie, alle versammelten sich um den Küchentisch und feierten das außergewöhnliche Angebot. Meister Pedros Puppenspiel bringt eine Episode aus Cervantes’ Don Quijote auf die Bühne, in der Don Quijote einer Puppentheateraufführung beiwohnt. Bei der für Sopran geschriebenen und keineswegs leicht zu singenden Rolle, die José übernehmen sollte, geht es darum, dass der Sohn des Puppenspielers den Zuschauern auf dem Theater die Figuren und die Handlung des Spiels erklärt. Nachdem Maestro Iturbi dem jungen Sänger bei der ersten Probe schweigend zugehört hatte, lobte er ihn ergriffen. Diese Anerkennung bestärkte Carreras in seinem Selbstbewusstssein. Die Premiere fand am 3. Januar 1958 statt und wurde im Rundfunk übertragen.

    Sicherlich lag es an meiner jugendlichen Unbekümmertheit, dass ich vor meinem Auftritt im Gran Teatre del Liceu nicht im Geringsten nervös war. Als ich mit meinem Vater dort zum ersten Mal eine Vorstellung besucht hatte, war mir durch den Kopf gegangen: »Wenn ich Sänger werde, ist es ganz normal, dass ich in diesem Theater und auf dieser Bühne auftrete«, und jetzt war mir klar, dass ich die Aufgabe bewältigen und alles gut ablaufen würde. Ich hatte meine Rolle mehrere Monate hindurch, fast ein halbes Jahr lang, einstudiert, denn sie war ziemlich wichtig. Da in dieser Aufführung auch der Bariton Manuel Ausensi sang, den mein Vater kannte, weil er in der Nähe von dessen Wohnung seinen Dienst versah, sind wir eines Tages mit der Bitte zu ihm gegangen, er möge mir raten, wie ich die Rolle spielen sollte. Dabei erfuhren wir zu unserer Überraschung, dass das Werk nicht szenisch, sondern lediglich konzertant aufgeführt werde. Das hat mich ein wenig enttäuscht, hatte ich doch gehofft, so richtig aus mir herausgehen zu können. Daraufhin erklärte Ausensi, er werde mit Joan Antoni Pàmias sprechen, damals

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