Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
Polizeikräfte aufzubieten … Unter den Zuhörern befand sich eine Vielzahl hochstehender Persönlichkeiten, an der Spitze Königin Sofía, der Präsident der Generalitat de Catalunya, Jordi Pujol, der spanische Verteidigungsminister Narcís Serra, der Bürgermeister von Barcelona Pasqual Maragall und der Präsident des Komitees für die Ausrichtung der Feier zum Gedenken an die Weltausstellung von 1888, Pere Duran Farell, der das Konzert am nachhaltigsten gefördert hatte. Júlia, die Tochter des Künstlers, die am Tag zuvor zehn Jahre alt geworden war und mit dem Fotoapparat, ihrem Geburtstagsgeschenk, Bilder machte, war dazu ausersehen worden, der Königin einen Blumenstrauß zu überreichen. Sie verfolgte das Konzert zusammen mit ihrem Bruder Albert von der Hinterbühne aus.
Nach »T’estimo«, auf das ein donnernder Applaus von mehreren Minuten folgte, dankte Carreras dem Publikum für sein Kommen. Anschließend kamen vier Stücke von Francesco Paolo Tosti – »Malia«, »Non t’amo più« (Ich liebe dich nicht mehr), »A vucchella« (Der süße Mund) und »L’ultima canzone« (Das letzte Lied) –, die sein Vorbild Giuseppe Di Stefano oft gesungen hatte. Das war die Huldigung an den italienischen Tenor, der ihn am Anfang seiner Karriere so freundschaftlich behandelt hatte. Nach einer kurzen Pause folgten zwei Werke katalanischer Komponisten, »Canticel« (Lied) von Eduard Toldrà und »Jo et presentia com la mar« (Ich habe mir dich vorgestellt wie das Meer) von Frederic Mompou. Den Abschluss des
ersten Teils bildete das beliebte katalanische Weihnachtslied »El cant dels ocells« (Der Gesang der Vögel). Anschließend folgte das in Spanien berühmte Lied »No puede ser« (Es darf nicht sein) aus der Zarzuela La tabernera del puerto (Die Hafentaverne) von Pablo Sorozábal, worin es heißt: »no sé fingir, no sé callar« (Denn ich kann nicht täuschen, denn ich kann nicht schweigen), wofür er rauschenden Beifall bekam. Der Sänger hatte sich die Programmabfolge mit Bedacht überlegt, damit jedes Stück seine ganz besondere Bedeutung hatte. Später wagte er sich an »L’emigrant« von Amadeo Vives und beendete den Abend mit »Nessun dorma« aus Turandot . Als er die Schlusszeile »… all’alba vincerò« (damit der Tag ersteh und mit ihm mein Sieg!) sang, überlief alle eine Gänsehaut. Die Begeisterung steigerte sich zur Raserei, als Montserrat Caballé hinzutrat, um gemeinsam mit ihm »Libiamo« (Auf, schlürfet in durstigen Zügen) zu singen, das Trinklied aus La Traviata. Sogleich stimmte die Menge ein, und ein gewaltiger Chor begleitete die beiden Sänger. Siebzig Minuten nach Beginn des Konzerts stieg er von der Bühne, um sich vor der Königin und den anderen hochstehenden Persönlichkeiten zu verbeugen, bevor er sich dem Publikum zuwandte und mit den Worten verabschiedete: »Das ist der glücklichste Abend meines Lebens, und den verdanke ich euch.«
Ich habe nicht übertrieben, als ich dem ungeheuren Glücksgefühl Ausdruck verlieh, mit dem mich das Konzert erfüllt hatte. Es war ein Huldigungsgesang an das Leben, an das ich mich mit allen Kräften geklammert hatte, wobei mir die Medizin, die Unterstützung durch meine Familie und die Güte des Geschicks zu Hilfe gekommen waren. Zum Schluss wollten mich so viele Menschen umarmen, küssen oder mir die Hand schütteln, dass man mich fast mit Gewalt von der Bühne hätte wegzerren müssen. Die Erinnerung an diesen Sommerabend hat sich auf alle Zeiten in mein Gedächtnis eingegraben. Später feierte ich das Ereignis im kleinen Kreis der engsten Freunde und Verwandten auf der Terrasse meines Hauses. Wir waren etwa dreißig Personen und stießen miteinander auf die Zukunft an. Es war ziemlich genau ein Jahr her, dass ich mit der schlechten Nachricht aus Paris zurückgekommen war.
Meine Krankheit stand mir als nahezu unendlicher Albtraum deutlich vor Augen. Vor allem drei Situationen werde ich nie vergessen. Da war erstens meine Einlieferung in die Klinik, in der ich behandelt werden sollte. Dabei hatte ich mich wie ein Boxer gefühlt, der in den Ring steigt, um den Kampf aufzunehmen. Dann kam der Flug nach Seattle, wo ich mich einer autologen Transplantation unterziehen wollte, deren Ausgang ungewiss war, denn die Ärzte hatten von einer dreißigprozentigen Erfolgsaussicht gesprochen (später erfuhr ich, dass sie in Wirklichkeit nur halb so hoch war), was mich ebenso sehr mit Beklemmung wie mit Hoffnung erfüllte. Den Abschluss bildet die Szene,
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