Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
als ich am Flughafen von Barcelona ankam und mich endlich wieder zu Hause fühlen durfte. Das Jahr 1988 ist als der Zeitpunkt meiner körperlichen, seelischen und künstlerischen Wiedergeburt mit goldenen Lettern in mein Gedächtnis eingegraben.
13.
Spontane Huldigung durch Plácido Domingo in der Pause von Fedora
J osé Carreras’ Auftritt am 21. Juli 1988 war seine offizielle Rückkehr auf die Bühne, doch hatte er bereits vier Monate zuvor seinen Fuß auf die Vorbühne des Liceu gesetzt, knapp eine Woche nach seiner Rückkehr aus Seattle. Er wollte unbedingt wieder Theaterluft schnuppern; man hätte glauben können, er leide unter Entzugserscheinungen. Für ihn war das Liceu ein ganz besonderes Opernhaus – kein Wunder, war er doch dort dreißig Jahre zuvor zum ersten Mal aufgetreten. Am 4. März, es war ein Donnerstag, wollte er der zweiten Aufführung von Umberto Giordanos Oper Fedora beiwohnen, in der Plácido Domingo den Grafen Loris, Vicente Sardinero den Diplomaten de Siriex und Renata Scotto die Fürstin Fedora sang.
Während der in Seattle verbrachten Monate war es einer meiner Träume gewesen, erneut im Liceu auftreten zu können. Vermutlich war das eine Metapher für meine Rückkehr nach Hause, und so wollte ich mir diesen Traum schon wenige Tage nach meiner Heimkehr erfüllen. Ich sah nicht besonders gut aus: Nach so vielen Monaten im Krankenhaus war meine Gesichtsfarbe bleich, und infolge der Chemotherapie und der Strahlenbehandlung hatte ich kaum Haare auf dem Kopf. In diesem Zustand wollte ich mich nicht dem Blick der Menschen aussetzen. Da aber meine Begierde, mir im Liceu eine Oper anzuhören, so groß war, fragte ich einen der Ärzte, die mich weiterbehandelten, ob etwas dagegen spreche. Die Antwort hieß nein, allerdings empfahl man mir, gleich nach dem Ende der Vorstellung nach Hause zurückzukehren und nicht zu viel mit Menschen in Berührung zu kommen, weil mein Immunsystem noch sehr geschwächt und es daher besser sei, mich keinen Krankheitskeimen
auszusetzen. Die Leitung des Opernhauses, mit der ich Verbindung aufnahm, erklärte sich bereit, mir die Sache zu erleichtern: Man reservierte mir eine der Logen im ersten Rang, gab mir die Möglichkeit, das Haus durch den Hintereingang zu betreten, und stellte mir Leute zur Verfügung, die mir behilflich sein konnten. Es freute mich sehr, dass Fedora gegeben wurde, eine Oper, in der ich bereits gesungen hatte. Dass Plácido und Renata darin auftreten würden, versprach einen besonderen Genuss. Da man Plácido mitgeteilt hatte, dass ich anwesend sein würde, musste ich ihn unbedingt begrüßen, und das nicht nur aus Pflichtgefühl und Höflichkeit. Also ging ich nach dem zweiten Akt mit dem Vorsatz hin, das zu tun und nach der Vorstellung nach Hause zurückzukehren. Doch als er mich sah, nahm er mich äußerst freundschaftlich an der Hand, führte mich vor den Vorhang und teilte dem Publikum in pathetischen Worten mit, wie stolz Spanien auf mich sein könne, sodass ich mir fast vorkam wie der kastilische Ritter El Cid, eine der Heldengestalten unseres Landes. Ich muss gestehen, dass es für mich ein äußerst bewegender und anrührender Augenblick war, als mir das Publikum im Liceu eine Ovation bereitete, die endlos zu dauern schien. Sie hat mir sehr gutgetan, und ich habe mich dabei meinen Mitbürgern ausgesprochen nahe gefühlt.
Es war Domingo – der ihn ja auch in Seattle besucht hatte – ein Bedürfnis, zu dieser Huldigung des Kollegen beizutragen. Als er sich seinerseits zweiundzwanzig Jahre später in seinem Haus in Acapulco von einer Dickdarmoperation erholte, besuchte ihn Carreras, der sich gerade zu einem Konzert in Mexiko aufhielt, Ende März 2010, um dem Kollegen Mut zuzusprechen. Domingo wollte auf keinen Fall seine Rückkehr an die Mailänder Scala verpassen, wo er einen Monat später in Giuseppe Verdis Simone Boccanegra aufzutreten hatte.
Wieder auf der Bühne des Liceu zu stehen, nachdem ich im Kampf gegen eine entsetzliche Krankheit zehn endlos scheinende Monate im Hospital verbracht hatte, bedeutete für mich eine ganz besondere
Belohnung, die mir neue Lebenskraft gab. Auch wenn es wie ein Klischee klingt, es war eine einzigartige und unwiederholbare Empfindung. Vor mir stand mein Publikum, die Besucher meines Theaters in meiner Stadt, und ich gewann es nach einer so harten Zeit zurück. Danach ging mir auf, dass ich einen Schlusspunkt hinter eine Etappe meines Lebens gesetzt hatte und wieder singen musste. Sosehr mich
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