Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
der nachdrückliche Beweis von Zuneigung gefreut hatte, fortan sollte wieder Normalität einkehren und das Publikum mir für meinen Gesang applaudieren. Wie später bei meinem ersten Auftritt am Triumphbogen von Barcelona versuchte ich mich innerlich zu wappnen, mich nicht allzu sehr davon anrühren zu lassen, dass die Leute aufgestanden waren und mir unaufhörlich zujubelten. Wenn man hört, wie die Menschen den eigenen Namen rufen, fällt es schwer, dem Gefühl nicht nachzugeben. Ich habe mir einen Selbstschutzmechanismus angewöhnt, gestehe aber, dass mir das nicht leichtgefallen ist.
Nach Carreras’ Auftritt am Triumphbogen von Barcelona, der auf der ganzen Welt einen nachhaltigen Eindruck hinterließ, weil er damit den Beweis geliefert hatte, dass er vollständig genesen war und die Therapie seine Stimme nicht beeinträchtigt hatte, kam bei den Opernfestspielen von Verona der Augenblick der Wiederbegegnung mit dem internationalen Publikum. Da zu jener Zeit die Einweihung der römischen Arena als Opernbühne fünfundsiebzig Jahre zurücklag, wollte die Festspielleitung das Jubiläum mit einem ganz besonderen Programm feiern. Unter anderem sollten bei einer Galavorstellung dreißig Sänger der ersten internationalen Garde ein Lied singen. Beim Konzert vom 8. August (»Ich erinnere mich genau an das Datum, weil es der 8. 8. 1988 war«) sollte José Carreras als Letzter auftreten. Es war der Wunsch der Organisatoren, die Einnahmen der kurz zuvor von ihm ins Leben gerufenen Stiftung zum Kampf gegen die Leukämie zufließen zu lassen. Die Liste der außerdem an der Gala Beteiligten liest sich eindrucksvoll: Giacomo Aragall, Montserrat Caballé, Ruggero Raimondi, Eva Marton, Renato Bruson, Ghena Dimitrova, Juan Pons, Luca Canonici, Mara Zampieri.
In Verona bin ich am Vortag des Konzerts aus Salzburg eingetroffen, wo ich Herbert von Karajan einen Besuch abgestattet hatte, um ihm mitzuteilen, dass ich es gar nicht abwarten könne, erneut auf der Opernbühne aufzutreten. Er hatte mich äußerst entgegenkommend behandelt und mir Mut gemacht, meine Begabung weiterhin in den Dienst des Publikums zu stellen. Meine Ankunft in Verona war etwas ganz Besonderes. Ich hatte dort bereits bei den Festspielen der Jahre 1984, 1985 und 1986 gesungen, und zwar in Carmen und André Chénier . Das Publikum in dieser Stadt, für die ich eine Schwäche habe, hatte sich mir gegenüber stets sehr herzlich verhalten. Beispielsweise weiß ich, dass man ihm bei den Aufführungen des Jahres 1987, während ich im Krankenhaus in Barcelona nachbehandelt wurde, in den Pausen Mitteilungen über die Besserung meines Zustandes gemacht hatte.
Auf dem Weg zum Hotel merkte ich, dass man meine Rückkehr groß herausgestrichen hatte: Auf den Straßen hießen mich Plakate mit meinem Foto willkommen, und an allen Ecken wurden Faltblätter mit den Titeln meiner Aufnahmen verteilt. In der Arena dann kam es zu bewegenden Momenten: Auf den oberen Rängen verkündete ein großes Transparent »Willkommen, José«, und das Publikum begrüßte mich stehend mit donnerndem Applaus. Das rührte mich zutiefst, wie auch viele andere der Anwesenden. Selbst einige Journalisten, die über die Galavorstellung berichten sollten, konnten ihre Tränen nicht unterdrücken. Ich sang »Granada« von Agustín Lara, und erneut kannte die Begeisterung keine Grenzen. Es war mir in diesem Augenblick gar nicht möglich, alles zu erfassen, was geschah, doch erinnere ich mich, wie mir durch den Kopf ging, dass mich die Zuneigung so vieler Menschen beflügeln müsse, in den folgenden Jahren als Sänger mein Bestes zu geben.
Eine Woche später sollte Carreras erneut in Katalonien auftreten, und zwar bei einer Gala im Rahmen der aus Konzerten und sonstigen Veranstaltungen bestehenden Sommerfestspiele von Peralada, die alljährlich im Park
einer eindrucksvollen mittelalterlichen Burganlage stattfinden. Die treibende Kraft dahinter ist die engagierte Mäzenin Carme Mateu, Tochter des herausragenden Finanziers und Unternehmers Miguel Mateu, der von 1939 bis 1945 Bürgermeister von Barcelona war. Peralada liegt in Alt Empordà, nahe der Costa Brava, wo ein großer Teil des Publikums daheim ist, das diesen Festspielen unerschütterlich die Treue hält. An einem besonders warmen Abend, an dem nicht das geringste Lüftchen wehte, füllten über dreitausend Personen das improvisierte Theater. Da sich auch herausragende Persönlichkeiten das Galakonzert nicht entgehen lassen wollten, das vom
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