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Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik

Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik

Titel: Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Carreras
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und sang Lieder von Puccini, Liszt, Massenet, Tosti, Hahn und Turina. Noch mehr als die atemlose Stille, mit der man mir zuhörte, beeindruckte mich, dass im Anschluss an das Konzert Blumen aus dem Publikum auf die Bühne geworfen und im Parkett sowie auf den Rängen Transparente entrollt wurden. Dabei merkte ich, dass es schwer zu erklärende Augenblicke gibt, deren ganze Bedeutung sich nicht ohne Weiteres begreifen lässt, weil sie so beglückend sind. Am nächsten Morgen rief mich Herbert von Karajan an und teilte mir mit, er habe das ganze Konzert im Fernsehen verfolgt. Auch wenn er sich meiner künstlerischen Fähigkeiten voll und ganz bewusst gewesen sei, habe ihn vor allem meine Entschlossenheit beeindruckt, als er mich auf dem Bildschirm sah. Er sagte, er könne sich sehr gut vorstellen, wie schwer es mir gefallen sein müsse, mich diesem kunstsinnigen Publikum zu stellen, das mir ein so großes Maß an Zuneigung entgegenbrachte, und nach der Behandlung, der ich mich hatte unterziehen müssen, das Beste zu geben. Es habe ihn mit Stolz erfüllt, zu sehen, mit welcher Hingabe ich das getan hatte.

    Nach diesem außergewöhnlichen Liebesbeweis des Wiener Publikums war der Zeitpunkt gekommen, wieder im Liceu aufzutreten. Als der dafür vorgesehene 6. November näher rückte, setzte ein wahrer Ansturm auf die
Eintrittskarten ein. Niemand in Barcelona wollte sich das Ereignis entgehen lassen, und die feine Gesellschaft kleidete sich zu diesem Anlass äußerst festlich. Einlass war schon mehrere Stunden vor Beginn. Die Fassade des Opernhauses war hell erleuchtet, und die Polizei gab sich die größte Mühe, den hochstehenden Persönlichkeiten das Vorfahren vor dem Haus zu erleichtern. Doch nicht nur Angehörige des Großbürgertums waren gekommen, sondern auch Carreras’ leidenschaftliche Verehrer aus dem fünften Rang, von wo aus er in jungen Jahren seine ersten Opernvorstellungen erlebt hatte. Auch seine Angehörigen, die ihn im vorangehenden Jahr so sehr unterstützt hatten, waren da und genossen jetzt diesen sehnlich erwarteten Augenblick voll Glücksgefühl. Ein im Programm abgedruckter Beitrag des Musikkritikers Pau Nadal endete mit den Sätzen: »Vieles ist im Leben des Mannes geschehen, der vor dreißig Jahren in Meister Pedros Puppenspiel als der Knabe Trujamán aufgetreten ist. Das Liceu hat ihn früher als jedes andere Theater willkommen geheißen, es war, was die Oper betrifft, gleichsam seine Amme, es hat ihn heranwachsen sehen und später voll Befriedigung seine ersten Erfolge miterlebt und voll Genugtuung gesehen, dass er danach überall auf der Welt aufgetreten ist. Er war in diesen Mauern wie ein Sohn und wird das auch bleiben. Kein anderes Theater kann uns den Stolz auf all das streitig machen, der ebenso groß ist wie die Freude, die wir dabei empfinden, ihm am heutigen Tag wieder zu begegnen.«

    Ich erinnere mich, wie bewegend dieser Abend war. Ich hatte jedes einzelne Stück meines Konzerts mit großer Sorgfalt ausgewählt, denn meine Zuhörer, die mich so gut kannten, sollten merken, dass ich dabei an sie gedacht hatte. Beispielsweise wollte ich unbedingt die Arie des Giocondo aus Rossinis La pietra del paragone singen. Sie war für mich von ganz besonderer Bedeutung, denn es war die erste Oper, von der ich eine Plattenaufnahme gemacht hatte. Weiterhin hatte ich mich für Stücke von Puccini, Scarlatti, Lieder von Tosti sowie, wie bei meinem Auftritt am Triumphbogen von Barcelona, für Griegs »Ich liebe dich« entschieden, das ich dem Leben und meinen Leuten widmen wollte. Den Abschluss sollte »El cant dels ocells« bilden, das für uns Katalanen eine ganz besondere
Bedeutung hat, seit der Cellist Pablo Casals es am Sitz der Vereinten Nationen in New York gespielt hat, wobei er erklärte, dass er aus dem kleinen Land Katalonien stamme, das als eines der ersten ein demokratisches Parlament besessen hatte. In der Pause verlieh mir der Bürgermeister von Barcelona, Pasqual Maragall, die goldene Ehrenmedaille der Stadt. Ich erinnere mich, dass ich ihm für die Auszeichnung mit den Worten dankte, ich hätte in jenem Jahr 1988 von der Stadt drei zu Herzen gehende Geschenke bekommen: mein »Heimkehrkonzert«, bei dem mir Barcelona seine herzliche Zuneigung gezeigt hatte, das Privileg, die Eröffnungsrede für die Festes de la Mercè, die Feier zu Ehren unserer Schutzpatronin, zu halten, und jetzt diese Medaille, die für einen Bewohner der Stadt Barcelona die höchste Auszeichnung bedeutet. Dann

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