Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
lassen und auf keinen Fall zu wiederholen. Auch Domingo betonte, es habe sich dabei um eine »außergewöhnliche, einzigartige und unwiederholbare Gala« gehandelt. Carreras war ebenfalls keineswegs davon überzeugt, dass man dieses gemeinsame Auftreten wiederholen sollte, denn der Abend war in jeder Hinsicht außergewöhnlich gewesen. Wenige Stunden später relativierte der Tenor aus Modena seine Aussage, nicht wieder mit den beiden anderen auftreten zu wollen dahingehend, dass es ihn überhaupt nicht wundern würde, wenn die drei früher oder später doch der Versuchung erlägen.
Der Abend begann mit den Orchestern der römischen Oper und des Maggio Musicale Fiorentino, die unter Zubin Mehtas erstklassiger Leitung die Ouvertüre zu Verdis Oper Die sizilianische Vesper spielten. Entsprechend der für das Konzert festgelegten alphabetischen Reihenfolge trat José Carreras als Erster auf. Er war tief bewegt und griff den Berichten zufolge von den dreien den Zuhörern am meisten ans Herz. Er begann mit der bei der Uraufführung von Caruso gesungenen »Klage des Federico« aus L’Arlesiana von Cilea, in welcher dieser sein Liebesleid wegen einer geheimnisvollen Frau besingt, und das Publikum applaudierte begeistert. Danach sang Domingo »O paradis« (Land, so wunderbar) aus Meyerbeers Die Afrikanerin und Pavarotti »Recondita armonia« (Wie sich die Bilder gleichen) aus Puccinis Tosca, die in der nahe dem Aufführungsort gelegenen Engelsburg spielt. Es war wunderschön zu sehen, wie die drei einander bei jedem Auftritt freudig umarmten, sich Mut zusprachen und aufmunterten. Carreras ließ seine volle und beeindruckende Stimme mit dem unverwechselbaren Timbre leuchten, Domingo faszinierte mit seiner festen und zugleich sanften Stimme, und Pavarotti setzte Glanzpunkte mit seiner Treffsicherheit bei den hohen Tönen.
Im zweiten Teil trug Carreras das neapolitanische Lied »Core ’ngrato« von Cardillo vor, das den meisten Beifall bekam, ein druckvolles »Granada« und ein so zu Herzen gehendes »Improvviso« aus André Chénier, dass die Zuhörer davon eine Gänsehaut bekamen. Domingo gab etwas aus Lehárs Das Land des Lächelns zum Besten, sang »No puede ser« aus La tabernera del puerto und ein wunderschönes »E lucevan le stelle« (Und es blitzten die Sterne) aus Tosca . Pavarotti hatte sich für »Rondine al nido« (Rückkehr der Schwalben) von Crescenzo entschieden, ein lebensbejahendes »Torna a Surriento« von De Curtis und schloss mit »Nessun dorma« aus Turandot , womit er das Publikum begeisterte. Auch das Orchester bekam mit dem vierten Satz aus Respighis Feste romane eine Möglichkeit zu glänzen.
Im zweiten Teil des Konzerts kam der sehnsüchtig erwartete Augenblick: Zum ersten Mal in ihrem Leben trugen die Drei Tenöre gemeinsam bekannte Melodien und Lieder vor. Fast zwanzig Minuten lang ging es so: »Maria«, »Tonight«, »O paese d’o sole«, »Cielito lindo«, »Memory«, »Occi Ciornia«, »Caminito«, »La vie en rose«, »Mattinata«, »Wien, Wien …«, »Amapola«
und als krönender Abschluss »O sole mio« in einem so jubilierenden Crescendo, dass es das Publikum buchstäblich zur Raserei brachte. Der Beifall am Schluss nötigte die Sänger zu improvisierten Zugaben. Nachdem sie sich auf der Bühne etwas mehr als eine Minute miteinander und mit dem Dirigenten beraten hatten, wiederholten sie das Potpourri, sangen »O sole mio« und schlossen mit einem von allen dreien gemeinsam gesungenen »Nessun dorma«, wobei das von den Plätzen aufgesprungene Publikum seinen Idolen hingerissen lauschte. Keineswegs hatte Carreras den gemeinsamen Auftritt mit den Kollegen angeregt, um zu zeigen, dass er zurück und wieder im Besitz all seiner Kräfte war, wie böse Stimmen behauptet haben. Es war sein Wunsch, auch Menschen, die gewöhnlich nicht in die Oper gehen, ein großes musikalisches Ereignis zu ermöglichen. Außerdem hatte er, nachdem sich Domingo und Pavarotti ihm gegenüber so solidarisch verhalten hatten, der Welt zeigen wollen, dass ihre Freundschaft stärker war als die Rivalität zwischen ihnen – ganz abgesehen davon, dass die Einnahmen einem guten Zweck zufließen sollten: Jeder der drei entschied sich für eine Sache, die er unterstützen wollte. Carreras ließ seinen Anteil seiner Stiftung zum Kampf gegen die Leukämie zukommen.
Zweifellos waren Plácido, Luciano und ich sehr unterschiedliche Sänger, und das nicht nur, was die äußere Erscheinung angeht, sondern auch als
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