Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
über den Atlantik zu fliegen, zu einer von anderen als unpassend empfundenen Tageszeit an einer Fernsehsendung mitzuwirken oder während der Siestastunde eine Pressekonferenz über sich ergehen zu lassen. Vor vielen Jahren ist es in Wien zwischen ihm und mir bei einer Wohltätigkeitsgala der UNICEF zu einer kleinen Unstimmigkeit gekommen. Es war vereinbart, dass wir in der chronologischen Reihenfolge der vorzutragenden Titel auftreten sollten. Da ich eine Arie aus André Chénier sang, einer 1896 uraufgeführten Oper, und Plácido eine aus Halévys Die Jüdin (Uraufführung 1835), wäre ich nach ihm an der
Reihe gewesen, wie es auch im Programm gedruckt war. Doch als die Veranstaltung begann, erfuhr ich, dass er nach mir singen werde. Ich erkundigte mich nach dem Grund dafür, doch niemand konnte mir einen nennen. Da ich damals noch sehr jung und ziemlich dünnhäutig war, erklärte ich, dass ich unter diesen Umständen nicht auftreten werde. Daraufhin teilte man mir mit, da Plácido auch ein Orchesterstück dirigieren werde, wolle er etwas Zeit haben, um sich auszuruhen. Dieser Zwischenfall führte aber zu keinem Zerwürfnis, und als wir zwei Wochen später gleichzeitig in London waren, sind wir gemeinsam essen gegangen. Offen gestanden hat er mir überreichlich Beweise seiner Freundschaft geliefert, sei es mit seinem Besuch in Seattle oder damit, dass er mich öffentlich ehrte, als ich nach meiner Genesung inkognito das Liceu besuchte. Er ist ein wahrer Herr. Zwar hatte jeder von uns dreien seine eigene Persönlichkeit, aber wir haben es verstanden, ohne Missstimmungen zusammenzukommen.
Der Auftritt der Drei Tenöre im Baseballstadion der Dodgers von Los Angeles schlug alle Zuschauerrekorde für ein im Fernsehen übertragenes Konzert, denn man schätzt, dass insgesamt 1,2 Milliarden Menschen die Direktübertragung oder spätere Aufzeichnungen am Bildschirm verfolgt haben. Dies unter dem Titel »Encore, the Three Tenors« angekündigte Konzert war das Schauspiel aller Schauspiele. Das Los Angeles Philharmonic Orchestra spielte, und wieder war Zubin Mehta der Dirigent. In den ersten Reihen, in denen ein Platz tausend Dollar kostete, saßen zahlreiche Prominente, unter ihnen Frank Sinatra, vor dem sich die Tenöre mit einer dreistimmigen Fassung seines Liedes »My Way« verneigten, was das Publikum mit donnerndem Beifall und der altgediente Schauspieler und Sänger mit Rührung aufnahm. Dem gleichfalls anwesenden Gene Kelly brachten sie mit dessen »Singin’ in the Rain« ebenfalls eine Huldigung dar. Weitere herausragende Besucher waren der ehemalige Präsident George Bush senior, der frühere amerikanische Außenminister Henry Kissinger, aber auch so bekannte Gesichter wie Gregory Peck, Sidney Poitier, Whoopi Goldberg, Arnold Schwarzenegger sowie Bob Hope, der mit allen seine Späße machte. Das Konzert,
in dessen Pause die Zuschauer Hotdogs und Popcorn verzehrten, enthielt eine Reihe von Nummern, mit denen sich die Sänger vor Hollywood verneigten, und war ein gewaltiger Erfolg. Sein einzigartiger Charakter beruhte auf der Vermischung zahlreicher aus amerikanischen Filmen bekannter Melodien mit Opernarien und Liedern aus dem Mittelmeerraum. Die Veranstalter merkten bald, auf was für eine ergiebige Goldader sie damit gestoßen waren, und schlugen den drei Sängern für die Jahre 1996 und 1997 eine Welttournee mit so verlockend dotierten Verträgen vor, dass es unmöglich schien, Nein zu sagen. Als Nächstes wurde dafür gesorgt, dass die drei 1998 bei der Fußballweltmeisterschaft in Frankreich erneut auftraten, und zwar auf dem Marsfeld am Fuß des Eiffelturms in Paris – ihr drittes Fußballweltmeisterschaftskonzert hintereinander. Im Jahr darauf veranstalteten sie ein Weihnachtskonzert in Wien.
Man hätte glauben können, die Fußballweltmeisterschaft könne ohne unsere Mitwirkung nicht mehr stattfinden, denn wir mussten auch bei der nächsten Austragung, diesmal 2002 in Japan und Korea, unsere Koffer für ein Konzert im Stadion von Yokohama packen. Ein Jahr danach traten wir im südenglischen Bath in einer speziell errichteten Arena vor fünfzehntausend Zuschauern auf, und 2004 in Saint Paul im amerikanischen Bundesstaat Minnesota. Unser letztes Konzert als die Drei Tenöre haben wir im mexikanischen Monterrey gegeben. Da Luciano krank war und absagen musste, hat die Konzertagentur Plácido und mich gebeten, auf jeden Fall zu singen, für den Dritten werde man nach einer Lösung suchen. So kam es, dass
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