Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
zurückzuhalten vermochten. Es griff ans Herz, die Stimme von Carreras oder Raimondi zu hören, während das Pfeifen der Granaten diese und jene Stelle des Requiems gleichsam hervorhob. So wurde die Welt daran erinnert, dass der Krieg nur wenige Kilometer von den Trümmern jenes Gebäudes entfernt seinen Fortgang nahm, das zu den angesehensten Bibliotheken des Balkans gehört hatte.
Es dauerte weitere eineinhalb Jahre, bis dieser entsetzliche Bürgerkrieg zu Ende ging, der von Sarajevo seinen Ausgang genommen hatte. Nachdem Milošević eine Woche zuvor für die serbische Seite den Kriegszustand für beendet erklärt hatte, beschloss am 23. Dezember 1995 das Präsidiumskollektiv von Bosnien-Herzegowina, seinerseits das Ende des Krieges zu verkünden. Eine entscheidende Rolle dabei war der amerikanischen Regierung zugefallen. Insgesamt hat dieser Krieg das Leben von mehr als hunderttausend Menschen gefordert, und über eine Million sind aus ihrer Heimat vertrieben worden. Mozarts Requiem wird im Gedächtnis der Menschheit für immer mit der Stadt Sarajevo in Verbindung bleiben, die ihrerseits als Symbol des Widerstandes eines Volks gegen die Barbarei eine herausragende Rolle gespielt hat.
17.
Ein Konzert in Angkor Wat, dem größten je gebauten Tempel
D ie Termine und das Programm der Drei Tenöre sollten nicht dazu führen, dass Carreras, Pavarotti und Domingo ihre eigene künstlerische Tätigkeit einstellten, aber sie mussten natürlich insgesamt häufiger auftreten. So hat beispielsweise José Carreras, seit er nach seiner Krankheit wieder auf die Bühne zurückgekehrt ist, neben seinen Auftritten an großen Häusern wie der Wiener Staatsoper, der Londoner Covent Garden Opera, der New Yorker Metropolitan Opera, der Mailänder Scala oder dem Liceu in Barcelona, rund tausend Konzerte und Soloabende bestritten. Darüber hinaus ist er an einigen der außergewöhnlichsten und magischsten Orte der Welt aufgetreten.
Nur selten hatte ich Gelegenheit, vor einer so erstaunlichen Kulisse wie dem Tempel von Angkor Wat zu singen, der als die größte je gebaute religiöse Anlage auf der Welt gilt und zugleich eine der wichtigsten archäologischen Stätten der Erde ist. Angkor war im Mittelalter Hauptstadt des Khmer-Reiches, das damals seine Glanzzeit erlebte. Der dem Gott Wischnu geweihte gewaltige Tempelbezirk diente zugleich als Herrscherpalast. Bei einem zweistündigen Besuch der Anlage, den ich vor der Generalprobe unternahm, berichtete man mir, dass zu jener Zeit in den Mauern des steinernen Palastes zwanzigtausend Menschen gelebt hätten. Mich beeindruckte, wie sich die Wurzeln hundertjähriger Bäume durch die Steinquadern gezwängt hatten und damit zu einem Bestandteil des Ganzen geworden waren. In dieser Festung im Herzen des kambodschanischen Urwaldes zu singen, war für mich ein besonders bewegendes Erlebnis.
Im Dezember 2002 hatte ich zwei Konzerte in Singapur gegeben und war von dort mit einem Privatflugzeug nach Angkor Wat geflogen. Zu meiner Überraschung begrüßte mich im Hotel eine australische Anhängerin, die am Vorabend mein Konzert in Singapur besucht hatte: Ich verstand nicht, wie sie vor mir in Angkor hatte ankommen können. Vor allem aber faszinierte mich der Anblick der von den Organisatoren – der Hotelkette Raffles International – in geringer Entfernung vom Tempel errichteten zauberhaften Unterkunft. Dort wohnte ich während der drei Tage meines Aufenthaltes in Kambodscha, einem Land mit außergewöhnlich liebenswürdigen Menschen, das viel gelitten hat und über dessen Zukunft ein großes Fragezeichen steht.
Begleitet wurde Carreras von seinem Neffen David Giménez Carreras, der das Sinfonieorchester von Singapur dirigierte. Seit sie 1994 gemeinsam in einem Konzert in Halle an der Saale aufgetreten waren, begleitet David seinen Onkel häufig als Dirigent. »Das hat überhaupt nichts damit zu tun, dass wir miteinander verwandt sind. Er ist ein fabelhafter und hochbegabter Musiker, der das Repertoire bestens kennt und mit dem Orchester zu arbeiten versteht. Gemeinsame Auftritte mit ihm sind eine wahre Freude.« Als sich die Nacht über Kambodscha senkte, begann ein Konzert vor tausend Zuhörern, darunter der Präsident des Landes sowie eine große Zahl von Gästen, die die Betreiber der Hotelkette eingeladen hatten. Die Bühne färbte sich rot, und weißes Scheinwerferlicht holte die Tempeltürme aus der Schwärze der Nacht heraus. Unangenehm bei all dieser Schönheit war lediglich die
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