Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
extreme Luftfeuchtigkeit, die den im tadellosen Frack auftretenden Sänger nötigte, dreimal das Hemd zu wechseln. Sonderbarerweise kamen auch die tibetanischen Mönche in ihren safranfarbenen Roben vom Tempel herüber, um dem Schauspiel beizuwohnen. Manch einer mag in ihnen einen Bestandteil der Inszenierung gesehen haben.
Ich empfinde es immer wieder als Glück, dass mir Konzertagenturen die Möglichkeit geben, an einzigartigen Orten aufzutreten, von denen manche zu den Weltwundern gehören und andere wegen
ihrer geschichtlichen Bedeutung einen Platz im kollektiven Gedächtnis der Menschheit haben. Bei meinem ersten Auftritt in der Großen Halle des Volkes am Platz des Himmlischen Friedens in Peking (1998) war ich ganz verwirrt: Dort, wo ich sang, tagten sonst die Delegierten der KP Chinas und fanden regelmäßig Militärparaden statt. Der Kongresssaal, der größte Raum des Komplexes, bietet zehntausend Menschen Platz. Danach sang ich als einer der Drei Tenöre in der Verbotenen Stadt (2001), unweit der Großen Halle. Der Auftritt auf dem Roten Platz in Moskau vor über zwanzigtausend Menschen bei einem Konzert der Freiheit bewegte mich ebenfalls tief, denn damals – es war das Jahr 1992 – begann sich das Land unter dem Einfluss der Perestroika mit Riesenschritten zu wandeln. Auch bei meinem Konzert im Teatro Amazonas von Manaus mitten im brasilianischen Regenwald, das aus Anlass des hundertsten Geburtstages dieses Opernhauses im Jahre 1996 stattfand, erfüllten mich ganz besondere Empfindungen. Dieses Gebäude wird in Werner Herzogs Film Fitzcarraldo gezeigt. Darin will der Protagonist gleichen Namens, ein Opernliebhaber, in Iquitos in Peru ein Theater ähnlich jenem eröffnen und Caruso dorthin verpflichten, damit dieser in der Verdi-Oper Ernani singt. Ein weiterer außergewöhnlicher Auftrittsort war die Dachterrasse des Mailänder Doms, auf der ich im Freien vor kaum 150 Zuhörern an drei Abenden in Ariel Ramírez’ Misa Criolla sang, wobei die Übertragung durch das italienische Fernsehen die Zahl der Zuhörer deutlich steigerte. Die Bühne, die wegen der Neigung der Terrasse durch Hubplattformen horizontal gehalten werden musste, war einfach herrlich. Das Publikum kam in den Genuss einer einzigartigen Umgebung, und der Mailänder Erzbischof Dionigi Tettamanzi, der dem Konzert beiwohnte, dankte mir, weil meine Mitwirkung dazu beigetragen hatte, die nötigen Mittel für die Restaurierung des höchsten Turms der Kathedrale aufzubringen, auf dessen Spitze die polychrom gefasste »Madonnina« rund hundertzehn Meter über dem Erdboden thront.
In den vergangenen zwanzig Jahren hat José Carreras an der Seite von Diana Ross und Plácido Domingo unter anderem beim Wiener Weihnachtskonzert von 1992 gesungen – die davon aufgenommene Platte war ein riesiger Verkaufserfolg. Die Tenöre, die ihren Auftritt in Fukuoka, Osaka und Taipeh wiederholen mussten, sangen klassische Lieder und Opernarien, aber zusammen mit der Detroiter Sängerin auch ein Potpourri aus Titeln moderner Musik. Besonders gefallen hat Carreras das Duett mit ihr »When you tell me that you love me«. Er ist auch zusammen mit Sarah Brightman im Bolschoitheater von Moskau (2002), im Stadion von Nagoya (2002) und in Jalta (2005) aufgetreten, sowie mit Natalie Cole und Plácido Domingo im Wiener Weihnachtskonzert von 1995, mit Gloria Estefan bei der Einweihung der Carnival Concert Hall in Miami 2006 sowie mit Lluís Llach in einer Konzertreihe, die im Jahre 2002 im Palau Sant Jordi von Barcelona vor rund zwanzigtausend Personen stattfand.
Zwei Auftritte stechen wegen ihrer Bedeutung in der an Höhepunkten bemerkenswert reichen Laufbahn des Tenors hervor, und zwar 2008 der zur fünfzigsten Wiederkehr seines Debüts am Liceu, bei dem er als Kind in de Fallas Meister Pedros Puppenspiel die Rolle des Jungen gesungen hatte, und 2004 der zum Gedenken an den dreißigsten Jahrestag seines Debüts an der Wiener Staatsoper in Rigoletto .
Das Gran Teatre del Liceu widmete ihm am 17. Juni 2008 einen äußerst liebevoll gestalteten Abend. Ein Aufsatz von dessen künstlerischem Leiter Juan Matabosch in der Festschrift hob hervor, dass »das leuchtende Timbre in Carreras’ Stimme, seine traumhafte Phrasierung wie auch seine leidenschaftliche und rückhaltlose Hingabe die Spielzeiten dieses Hauses im Verlauf einer unvergesslichen Epoche bereichert haben«, und der Musikkritiker Pablo Meléndez Haddad betonte: »Nur wenigen Sängern ist es gelungen, in ihrer
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