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Auschwitz

Auschwitz

Titel: Auschwitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Rees
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Mithäftlinge.
    Die Nationalsozialisten wußten, daß der reibungslose Ablauf des Lagerbetriebs wesentlich von der Kooperation jener Insassen abhing, die relativ privilegierte Positionen erlangt hatten; die meisten von ihnen waren politische Gefangene, die bereits seit Jahren im Lager lebten. Sie blieben grundsätzlich von den regelmäßigen Selektionen verschont, die die anderen Häftlinge über sich ergehen lassen mußten. Doch die Deutschen suchten nach effektiveren Methoden, um ihren Arbeitseifer anzuspornen. Der Besuch eines Bordells, der an die Zuteilung von Gutscheinen durch die Lagerleitung geknüpft war, diente als Belohnung für vorbildliches Verhalten (in deren Genuß etwa 100 dieser privilegierten Häftlinge kamen) und als Anreiz, sich in Zukunft noch mehr anzustrengen. 25 Ein weiterer Grund für die Einrichtung des Bordells könnten auch die weitverbreiteten homosexuellen Aktivitäten im Lager gewesen sein. Jósef Paczyński erinnert sich, daß sich »führende« Häftlinge ältere Jungen als »Diener« hielten und es zwischen ihnen häufig auch zu sexuellen Kontakten kam. Er vermutet deshalb, daß die Deutschen das Bordell einrichteten, »um die homosexuellen Aktivitäten abzustellen«.
    Das Thema Prostitution in Auschwitz ist natürlich heikel, besonders auch die Frage, welche Haltung die Häftlinge selbst dazu einnahmen. Die meisten von ihnen hatten anscheinend keine moralischen Skrupel, die Dienste der Prostituierten in Anspruch zu nehmen. Diese Frauen waren zum großen Teil in Birkenau selektiert worden (im Gegensatz zu den anderen KZ-Bordellen hatte man sie nicht aus Ravensbrück geholt) und wurden gezwungen, täglich mit durchschnittlich sechs Männern Sex zu haben. Ihre Erfahrungen gehören zu den geheimen Leidensgeschichten von Auschwitz, in mancher Hinsicht vergleichbar mit dem Schicksal der koreanischen »Trostfrauen«, die von japanischen Soldaten zur Prostitution gezwungen wurden. Doch in Auschwitz wurden die Frauen, die im Bordell arbeiteten, eher beneidet als bemitleidet. »Die Mädchen wurden sehr gut behandelt«, erzählt Ryszard Dracko. »Sie bekamen gutes Essen. Sie durften spazierengehen. Sie mußten nur ihre Arbeit machen.«
    Dackos scheinbar so gefühllose Bemerkung, daß sie »nur ihre Arbeit machen« müßten, verdeutlicht, welchen immensen Einfluß die äußeren Lebensumstände auf die »Moral« eines Menschen haben. Denn vor dem Hintergrund des Lagerlebens in Auschwitz, wo Folter und Mord an der Tagesordnung waren, konnte er das Leben einer Frau im Bordell nur als »gutes« Leben empfinden. Und da er von so viel Leid umgeben war, wäre er nie auf den Gedanken gekommen, sich zu fragen: »Ist es richtig, mit dieser Frau zu schlafen?« Statt dessen hatte er nur seine eigene Situation vor Augen: daß er seit »dreieinhalb Jahren keine Frau mehr gehabt« hatte und sich ihm nun endlich die Chance bot, sich für den Verzicht zu entschädigen.
    Die Existenz eines Bordells in Auschwitz wirft jedoch noch ein ganz anderes Problem auf. Holocaust-Leugner und Verteidiger des nationalsozialistischen Regimes führen das Vorhandensein eines Bordells als Beleg dafür an, daß Auschwitz ganz anders gewesen sei, als es die Literatur darstellt. Dabei verweisen sie auch auf das sogenannte Schwimmbad im Stammlager Auschwitz. In Wirklichkeit handelte es sich dabei um ein Löschwasserbecken, über dem Feuerwehrleute ein improvisiertes Sprungbrett angebracht hatten und in dem natürlich auch ausgewählte Häftlinge baden durften. »Es gab ein Schwimmbecken in Auschwitz für die Feuerwehr«, bestätigt Ryszard Dacko. »Sogar ich durfte darin baden.« Das ist natürlich Wasser auf die Mühlen der Holocaust-Leugner: »Das soll ein Vernichtungslager gewesen sein? Mit einem Schwimmbad für die Häftlinge? So ein Blödsinn!« würden sie sagen. Doch in Wirklichkeit hatte die Bereitstellung eines »Schwimmbads« dieselbe Funktion wie die eines Bordells – beide dienten der Stabilisierung des unterdrückerischen Lagersystems. Sie widerlegen also keineswegs, daß Auschwitz ein Zentrum des Massenmords gewesen ist, was es unbestreitbar war.
    Indem sich die Holocaust-Leugner auf solche scheinbaren Anomalien konzentrieren, übersehen sie die Komplexität der »Institution« Auschwitz mit ihren vielen unterschiedlichen Hierarchien und Funktionen, die eine Bandbreite an Phänomenen hervorbrachte: vom »Schwimmbad« und dem Bordell an einem Ende des Spektrums bis zu den Krematorien und der Ermordung von Kindern am

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