Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten

Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten

Titel: Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Scheffler
Vom Netzwerk:
sagte: »Auf die Vergangenheit.«
    Ich stieß etwas verblüfft mit ihm an und sagte ebenfalls: »Ja, auf die Vergangenheit.«
    Wir tranken und starrten dann eine Weile in unsere Gläser. Ab und zu nahmen wir einen Schluck Bier. Ich überlegte gerade, ob ich mich mit einem Schnaps revanchieren sollte, da machte mein Nebenmann einen Handbewegung in Richtung des Wirtes, und kurz darauf bekamen wir jeder noch einen Wodka.
    »Ich heiße Achim, wenn’s recht ist«, sagte er.
    »Andreas«, sagte ich und wir stießen noch einmal an. »Gibt’s was zu feiern?«, fragte ich und wusste sofort, dass das eine ziemlich blöde Frage war.
    »Was zu feiern? Wenn du willst, gern. Ich bin befördert worden. So eine Scheiße.«
    »Befördert. Ja, eigentlich freut man sich da.«
    »Ja. Und ich kriege 300 Piepen mehr im Monat. Toll, was?«
    »Ich glaube, ich würde mich da freuen.«
    »Andreas, jetzt pass mal auf: Ich bin ein 1-a-Staubsaugerverkäufer. Fast immer Verkäufer des Monats gewesen. Ich hab prima verdient. Scheißjob, aber was soll’s. Das Geld hat gereicht. Wir konnten jedes Jahr in Urlaub fahren, und alle drei, vier Jahre war ein neues Auto drin. Das ist ziemlich gut, wenn man Klinken putzt.«
    »Donnerwetter.« Mehr konnte ich nicht sagen.
    »Ja, Donnerwetter. Aber jetzt bin ich Teamleiter geworden.«
    »Und?«
    »Und? – Ich bin jetzt nur noch selten auf Tour. Ich soll die jungen Leute anlernen. Ihnen die ganzen schmutzigen Tricks beibringen, wie man alten Omas so ein Gerät andreht. Ich selbst bin da ja noch mit klargekommen, aber jetzt vervielfache ich meine Scheißarbeit. Und ich habe mindestens zehn Stunden mehr in der Woche. Und das alles für 300 Piepen.«
    »Hättest du das nicht ablehnen können?«
    »Im Prinzip ja. Aber wie wär ich da denn dagestanden? Und meine Frau freut sich über die 300. Die Kinder natürlich auch. Hast du Kinder?«
    »Nee.«
    »Gut.«
    Wir starrten wieder eine Weile in unsere Gläser.
    Der Wirt schaute zu uns herüber, und diesmal bestellte ich den Wodka.
    »Die Hälfte hält das nicht aus«, sagte Achim. »Die kriegen das mit ihrem Gewissen nicht klar. Aber die andere Hälfte, die sind ehrgeizig. Die wollen alle Verkäufer des Monats werden. Denen sind alle Mittel recht. Die arbeiten zwölf Stunden und mehr am Tag. Und denen ist es total egal, ob sich da eine Oma in Schulden stürzt.«
    »Warst du nicht genauso? Wie hättest du denn sonst dauernd der Beste sein können?«
    »Na ja, am Anfang war ich auch so ein Arsch. Aber dann bin ich mal an eine Tür gekommen, und da stand eine Frau, die sah meiner Mutter total ähnlich. Die hatte auch nicht viel Geld. Ich habe mich entschuldigt und bin wieder gegangen. Danach habe ich nur noch in Nobelvierteln getourt. Und mit Charme lässt sich auch viel machen.«
    Nee, nee?, dachte ich. Dicker konnte ein Bär gar nicht sein, den er mir da aufbinden wollte. Die Mutter. Kitschiger geht’s nimmer.
    »Ich bin dann noch mal zu der alten Frau gefahren«, sagte Achim, »und das klingt jetzt ziemlich kitschig, aber diese Ähnlichkeit! Ich musste immer dran denken. Mein Vater ist nämlich mit mir als Kind aus der DDR abgehauen. Der Sack hat meine Mutter einfach dagelassen. Das war mindestens fünfunddreißig Jahre her, aber ich hatte von meiner Mutter noch ein Foto.«
    »Jetzt sag nicht, dass das tatsächlich deine Mutter war.«
    Achim nahm sich ein Tuch aus seiner Hosentasche, wischte sich die Augen und bestellte uns noch einen Wodka.
    »Wir haben uns alte Fotos angeguckt. Und – ob du’s glaubst oder nicht, es war wirklich meine Mutter. Wir haben uns dann ein paar Mal in der Woche getroffen, auch mit meiner Frau und dem Kind. War ne schöne Zeit. Aber ein knappes Jahr später ist sie dann gestorben. Magenkrebs.«
    Er schnäuzte in sein Taschentuch; und ich musste auch ein paar Tränen wegdrücken.
    »Danach mussten wir feststellen, dass sie einen Haufen Schulden hinterlassen hatte. Hat in Versandhäusern und an der Haustür jeden Scheiß gekauft. Das müssen wir jetzt abzahlen. Und das ist ja auch der eigentliche Grund, warum ich diese blöde Beförderung akzeptieren muss. Da hat sich einiges angesammelt.«
    Wir tranken unsere Schnäpse aus. Ich fühlte mich schon ziemlich benebelt und legte Achim eine Hand auf die Schulter.
    »Kann ich dir irgendwie helfen? Ich seh’ doch, wie fertig du bist.«
    »Ach, nee, lass man. Ich muss da allein mit klarkommen.«
    »Wieso? Wir sind doch jetzt irgendwie Kumpel. Da hilft man sich doch.«
    »Na ja. Das ist mir

Weitere Kostenlose Bücher