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Auserkoren

Titel: Auserkoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Jahren, Richard.« Er schüttelt den Kopf, als wäre dies der einzige Grund, weshalb Vater nicht weiter aufgestiegen ist in der Hierarchie der Erwählten.
    Die Worte purzeln in meinem Kopf durcheinander. Panik befällt mich, sie kriecht über meine Haut. Wenn ich jetzt weglaufe , denke ich und drücke Mariah an mich, vielleicht, vielleicht hole ich dann noch Patrick und die Rollende Bibliothek von Ironton ein. Dann kann er Mariah und mich mitnehmen, irgendwohin mitnehmen. Diese Worte überschlagen sich in meinen Gedanken, während ich sie immer wieder denke, um zu prüfen, ob es nicht vielleicht doch möglich ist.
    Mutter Claire streckt die Hände aus, um das Baby zu nehmen. Sie zittern. Sie blickt mir nicht in die Augen, sie sieht auch Vater und Onkel Hyrum nicht an. Sie drückt Mariah an die Brust. Mariahs nackter Hintern ruht auf ihrem Bauch.
    »Vollzieh die Strafe«, befiehlt Onkel Hyrum. Er blickt sich im Wohnwagen um. Ich weiß nicht, was er sucht. Alle anderen wurden schon weggeschickt. An seinem Gesichtsausdruck kann ich ablesen, dass mein Vater ihn anwidert. Er mahlt mit den Zähnen. Da ist diese Lücke, wo eigentlich ein Zahn sein sollte. Wird er jetzt gleich auch noch seine restlichen Zähne ausspucken? »Du wirst es tun, Kyra«, sagt Onkel Hyrum zu mir.
    Ich starre meinen Vater mit weit aufgerissenen Augen an und schüttle den Kopf. »Warum gerade ich?«
    »Tu es«, wiederholt Onkel Hyrum.

    So etwas werde ich niemals tun. Niemals.
    »Gott und der Prophet lehren uns …«
    Ich höre nicht mehr zu.
    »Kyra«, sagt Vater. Er berührt meinen Arm. »Dein Onkel ist ein Apostel Gottes.«
    »Ich habe meine eigenen Kinder gezüchtigt«, sagt Onkel Hyrum. »Ich weiß, wie man es tut. Gott will es so. Wenn du meine Frau bist, wirst du die Kinder züchtigen. Und du wirst es auch jetzt tun.«
    Mariah lacht ihre Mutter an.
    »Nimm das Baby, Kyra«, befiehlt Onkel Hyrum. Seine Stimme ist schneidend wie ein Messer, wuterfüllt. Aber mir ist es gleich.
    »Vollziehe die Strafe«, sagt er.
    »Das werde ich nicht tun«, sage ich.
    »Nein«, sage ich.
    »Niemals«, sage ich.
    »Claire«, sagt Vater, »dann musst du es tun.«
    Mutter Claire hat feuchte Augen. »Richard«, sagt sie. In meinem ganzen Leben habe ich sie noch nie so bestürzt erlebt, noch nie. »Richard.«
    »Bitte, Claire«, sagt Vater.
    Mutter Claire hält Mariahs Nase und Mund fest zu. Dann hebt sie Mariah in das kalte Wasser. Und taucht sie unter.
    Taucht sie unter.
    Mariah schlägt um sich und zappelt.
    »Aufhören!«, schreie ich.
    Ich hänge mich an Mutter Claire, aber Vater hält mich zurück.

    »Heb sie raus«, sagt Onkel Hyrum. Ich hasse ihn. Gerade jetzt hasse ich ihn.
    Mutter Claire laufen die Tränen übers Gesicht. Erst jetzt, als sie ihr Kind wieder aus dem Wasser hebt, merke ich, dass sie weint. Mariahs Schreie zerreißen die Luft.
    »Noch einmal«, befiehlt Onkel Hyrum.
    »Nein!« Bin ich denn der einzige fühlende Mensch hier? Ich und das Baby?
    »Und noch einmal«, wiederholt er.
    »Hört auf damit!«
    Vater hält mich mit beiden Händen fest und zerrt mich weg von Mutter Claire.
    Und dann: »Genug.«
    »Halte deine Familie im Zaum, Richard«, sagt Onkel Hyrum. Dann sieht er mich an. »Alle.« Und dann geht er, ohne die Haustür hinter sich zu schließen.
    »Kyra«, sagt Vater. »Zieh das Baby an. Bitte.« Seine Stimme bebt.
    Er und Mutter Claire, deren Kleid vorne völlig durchnässt ist, stehen schweigend da. Mutter Claire schaut vor sich hin auf den Boden. Ihr Gesicht ist tränenüberströmt. Ihre Hände sind rot vom Eiswasser.
    Ich drücke Mariah an mich. Ihre Lippen sind blau. Sie weint nicht mehr, sie schnappt nur nach Luft.
    »Vater«, rufe ich. »Sie kriegt keine Luft mehr.«
    Ich halte ihren kalten Körper ganz fest und klopfe auf ihren kleinen Rücken. Sie ist wie ein Hühnchen, das man gerade aus der Kühltruhe geholt hat.
    »Vater?« Ich glaube, ich muss auch gleich ersticken. Vorsichtig schüttle ich das Baby. »Mariah?«

    Vater kommt zu mir und nimmt mir Mariah aus den Händen. Er haucht sie an. Jegliche Farbe ist aus seinem Gesicht gewichen. Mariahs Lippen sind dunkelblau wie der Himmel kurz vor Sonnenuntergang.
    »Richard«, sagt Mutter Claire laut. »Sie atmet nicht, Richard!« Ihre Stimme wird schrill, überschlägt sich. Ihre Augen sind riesengroß. Sie reißt Mariah an sich.
    Dann endlich bricht es aus Mariah heraus, sie schreit so laut, dass ich Angst habe, das Fenster zerspringt und Onkel Hyrum kommt zurück.
    Vater gibt

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