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Auserkoren

Titel: Auserkoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Wohnwagenecke, vor ihr läuft ein kleiner Ventilator.
    »Nachdem du gestern Abend weg warst, hat sie einfach
nicht aufgehört zu weinen«, sagt Mutter Sarah, die mir gefolgt ist. Ihr dicker Bauch ist ihr im Weg, aber sie beugt sich nieder und hebt Mariah hoch. »Komm, Kleines«, sagt sie zärtlich.
    »Was meint ihr damit?«, frage ich.
    »Ich konnte sie einfach nicht beruhigen«, sagt Mutter Claire. Ihr Gesicht ist nun gerötet. »Niemand konnte sie beruhigen. Sie wollte dich.«
    Wir verlassen den Wohnwagen von Mutter Claire. Ich wünschte, ich könnte ein klein wenig stolz darauf sein, dass Mariah sich nur von mir beruhigen lassen wollte, aber ich ahne nichts Gutes. Nicht wenn ich sehe, wie verängstigt Mutter Claire ist.
    Mariah ist an der Schulter ihrer Mutter wieder eingeschlafen.
    Wir gehen zu mir nach Hause, wo Vater und Onkel Hyrum beisammenstehen. Mutter Sarah ist nicht bei uns, ich weiß nicht, wohin sie plötzlich gegangen ist.
    »Ich habe mehr gesehen, als ich ertragen konnte«, sagt Onkel Hyrum zu Vater. »Mehr, als ich ertragen konnte«, sagt er zu Mutter Claire und mir und der schlafenden Mariah.
    »Sie war doch nur müde«, sagt Mutter Claire.
    »Sprich nur, wenn du gefragt bist«, sagt Onkel Hyrum so laut, dass Mariah aufwacht und zu jammern anfängt.
    Vater hat die Hände gefaltet, seine Knöchel sind ganz weiß. Wenn man in die Gesichter der zwei Männer schaut, dann sieht man auf den ersten Blick, dass die beiden verwandt sind. Sie haben die gleiche Augenfarbe, die gleiche Haarfarbe, das gleiche kantige Gesicht. Aber darin
unterscheiden sie sich: Onkel Hyrum ist gut zwanzig Jahre älter als Vater. Und er ist hundertmal so gemein.
    »Zieh sie aus«, befiehlt Onkel Hyrum. Er hat zu mir gesprochen. Zu mir! Vater steht neben seinem Bruder.
    Zuerst denke ich, Onkel Hyrum hat Mutter Claire gemeint. Dann begreife ich, dass er die kleine Mariah meint. Und mit einem Mal verstehe ich, dass er gekommen ist, um meinen Vater zu lehren, dass er ein strengerer Zuchtmeister sein muss.
    »Du bist zu nachsichtig, Richard«, sagt Onkel Hyrum im selben Moment. »Zu nachsichtig.«
    Mariah macht den Mund auf und gähnt. Sie reibt sich den Schlaf aus den Augen.
    Vater sagt: »Zieh sie aus, Kyra. Tu, was Hyrum gesagt hat.«
    »Vater«, flehe ich. »Bitte nicht.«
    Mein Vater kann mir nicht in die Augen sehen. Er züchtigt uns nicht wie manch andere Väter. Er wird auch selten laut gegen uns. Er nimmt uns in den Arm, er liebt uns, lacht mit uns.
    »Kyra«, sagt er nach einem Augenblick, »bitte, sei gehorsam. Er ist ein Apostel des Herrn.«
    Ich nehme Mariah aus den Händen von Mutter Claire. Ich setze das Baby auf meine Hüfte. Es lacht mich an und greift nach meinem Gesicht.
    »Wasser, Claire«, befiehlt Hyrum. »Und Eis.«
    Ich lasse mir Zeit, als ich Mariah ausziehe. Mein Herz klopft.
    Ich höre, wie Mutter Claire zuerst Eis in eine Blechwanne füllt. Dann schüttet sie Wasser dazu.

    »Süßes Baby«, sage ich. »Süße Mariah.« Ich glaube, ich bekomme Kopfschmerzen. Es pocht hinter meinen Augen.
    Mariah liegt nackt in meinen Armen. Sie zieht an meiner Unterlippe und lacht glucksend.
    »Bedecke ihre Blöße, Kyra«, befiehlt Onkel Hyrum. Sein Adamsapfel hüpft auf und ab. »Du weißt, Nacktheit ist eine Sünde vor Gott.«
    Ich wickle das Kind, so gut es geht, in seine Kleider.
    »Gib sie ihrer Mutter«, befiehlt Onkel Hyrum.
    Mutter Claire steht jetzt in der Tür. Von ihren Händen tropft Wasser auf den Linoleumbelag des Fußbodens.
    Ich schaukle Mariah auf meinem Arm. »Nein, wartet«, sage ich. »Bitte.«
    »Gib sie Schwester Claire«, sagt Onkel Hyrum.
    Mutter Claire rührt sich nicht von der Stelle. Ich ebenso wenig.
    »Claire«, sagt Vater. Ich kann ihn fast nicht hören. Es ist, als käme die Stimme nicht aus seinem Körper. Ich sehe, wie sich seine Lippen bewegen, aber ich höre nichts.
    Onkel Hyrum knirscht so laut mit den Zähnen, als würde er Sandkörner zermalmen.
    »Jetzt ist sie doch still«, sagt Mutter Claire. »Seht doch, wie brav sie ist.«
    »Sprich nur, wenn ich dich gefragt habe«, sagt Onkel Hyrum.
    Mariah dreht sich zu mir. Sie lächelt und kneift die Augen zusammen. Sie schiebt ihre feuchte Unterlippe vor. Ich beuge mich zu ihr und will ihr einen Kuss geben, in diesem Moment macht sie ihren Mund auf und lacht.
    »Züchtigung«, erklärt Onkel Hyrum meinem Vater, »ist
Gottes Wille, wenn die Kinder wohl geraten sollen. Sie ist auch gut, wenn man aufsteigen will. Das sage ich dir schon seit

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