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Ausersehen

Ausersehen

Titel: Ausersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. C. Cast
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verwirrt wie ich.
    „Das kann man wohl sagen. Dieses Gefäß hat einen Riss. So ist es vollkommen wertlos für mich.“ Er stellte sie so achtlos zurück auf den Tisch, dass sie einen Moment bedenklich kippelte und umzufallen drohte.
    „Sir, lassen Sie mich das einmal anschauen.“
    Der Assistent nahm die Urne und hielt sie, den Engländer unbewusst imitierend, ins Licht. Alle Farbe wich aus seinem Gesicht.
    „Sir, Sie haben recht. Bitte akzeptieren Sie meine Entschuldigung für dieses beschädigte Objekt. Natürlich wird Ihre Rechnung sofort korrigiert.“
    Noch während er sprach, huschte ein weiterer Lakai hinüber ins Kassenzelt, um den Fehler auszumerzen.
    „Entschuldigen Sie …“ Ich versuchte, so nonchalant wie möglich zu klingen. „Was passiert nun mit dieser Urne?“
    Alle drei drehten sich um und starrten mich an.
    „Sie wird erneut versteigert, natürlich nach dem Prinzip ‚gekauft wie besehen‘.“
    Er reichte sie einem weiteren Assistenten, der damit in Richtung Auktionator eilte. Auf wackeligen Beinen folgte ich ihm. Ich fühlte mich wie die sprichwörtliche Motte, die vom Licht angezogen wird.
    „Oh, verzeihen Sie. Es scheint, dass wir einen Fehler vorliegen haben, der korrigiert werden muss.“ Die Stimme des Auktionators klang genervt. „Bevor wir mit Objekt Nummer einunddreißig fortfahren, müssen wir Objekt Nummer fünfundzwanzig noch einmal zur Versteigerung bringen. Die Reproduktionskeramik hat offensichtlich einen Haarriss, der im Inneren einmal über den Boden läuft. Sehr unglücklich.“
    Ich drängte mich durch die Menge, während der Auktionator die Urne mit der Öffnung zum Publikum hielt, damit alle einen Blick in ihre nicht perfekte Tiefe werfen konnten. Ich schaute hin – die Öffnung der Urne schien sich zu kräuseln wie die Oberfläche eines schwarzen Sees. Mir wurde schwindelig, und ich blinzelte ein paarmal in dem Versuch, wieder klar zu sehen.
    Der Auktionator schaute in die Urne hinein und schüttelte den Kopf, das Gesicht geringschätzig verzerrt ob dieser entsetzlich beschädigten Ware. Dann zuckte er mit den Schultern und sagte: „Höre ich ein Anfangsgebot von fünfundzwanzig Dollar?“
    Stille.
    Ich konnte es nicht glauben. Ich wollte schreien, konnte meine Überschwänglichkeit aber gerade noch im Zaum halten, als ich sah, wie der Auktionator seinen Blick über die stumme Menge gleiten ließ und dann das Gebot schnell nach unten korrigierte.
    „Fünfzehn Dollar? Höre ich fünfzehn Dollar?“
    Schweigen. Keine zehn Minuten vorher hatte ein wahrer Bieterkrieg um diese Urne getobt, und sie hatte dreihundertundfünfzig Dollar gebracht. Jetzt war sie nicht mehr perfekt, und der Kerl bekam noch nicht einmal fünfzehn Dollar. Das Schicksal flüsterte mir ins Ohr.
    „Drei Dollar und fünfzehn Cent.“ Ich konnte nicht anders. Die Situation wirkte auf mich wie eine verquere Gerechtigkeit.
    „Verkauft! Für drei Dollar und fünfzehn Cent. Madam, bitte geben Sie meinem Assistenten Ihre Bieternummer.“ Er zog eine Grimasse. „Sie können das Gefäß gleich mitnehmen.“

4. KAPITEL
    Meine Nummer ist 074. Ich bin hier, um meine Rechnung zu bezahlen.“
    Die Kassiererin schien nach Stunden bezahlt zu werden, denn sie bewegte sich unglaublich langsam. Ich versuchte, nicht ungeduldig herumzuzappeln. Ich will meine Urne, ich will meine Urne, ich will meine Urne. Langsam, aber sicher verwandelte ich mich in einen Psycho.
    „Die Summe beträgt drei Dollar achtundsiebzig … das ist inklusive Steuern.“
    Sie blinzelte sogar langsam und erinnerte mich dadurch an ein Kalb.
    „Hier, bitte sehr. Der Rest ist für Sie.“ Ich reichte ihr einen Fünfer, und sie grinste mich an, als wäre ich der Weihnachtsmann.
    „Danke, Ma’am. Ich lasse Ihre Ware gleich nach draußen bringen.“ Über ihre Schulter rief sie: „Zack, bring bitte die Sachen von 074 raus.“
    Zack kam mit einem Karton in der Hand um die Ecke. Die Schachtel sah genauso aus wie die, in denen vorhin die anderen Urnen verpackt worden waren. Zack hielt sie mir mit geöffnetem Deckel hin, damit ich sehen konnte, dass es sich tatsächlich um meine Urne handelte, aber ich musste sie nicht wirklich sehen, um zu wissen, dass es die richtige war, denn das inzwischen altbekannte merkwürdige Gefühl hatte sich wieder in meinem Magen eingenistet.
    „Danke, ich nehme sie dann gleich mit.“ Bevor ich es mir anders überlegen konnte, packte ich den Karton, schloss energisch den Deckel und machte mich auf den Weg zu

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