Ausersehen
war seltsam, weil ich doch nur ein einfaches, altes (na ja, nicht zu alt – und auch nicht zu einfach) weißes Mädchen war. Eine Lehrerin und eingetragene Wählerin. Und plötzlich fand ich mich als Auserwählte einer Göttin wieder, war mit einem Zentauren verheiratet, kämpfte gegen vampirähnliche Gestalten (die würden nie als Amerikaner durchgehen, nicht mal in New York) und freundete mich mit einer Jägerin an, die zufälligerweise ein halbes Pferd war.
Irgendwie glaube ich nicht, dass es das war, was meiner Mutter vorschwebte, als sie sagte, dass im Leben viele Dinge passieren, die man nicht planen kann. (Wenn ich mich recht erinnere, sprach sie dabei über die Vorteile des Sparens gegenüber dem Kauf eines neuen Anne-Taylor-Kleides. Ich hoffte, dass ich damals das verdammte Kleid gekauft hatte.)
Wir verließen den Hof und gingen durch einen Torbogen, dann wandten wir uns nach links und betraten einen Gang. Ich erinnerte mich, dass es derselbe war, den ich gestern in Richtung Krankenzimmer entlanggegangen war. Ein weiterer kurzer Schwenk, und der Geruch sagte mir, dass wir ganz nah waren. Die Tür wurde dieses Mal von einem jungen männlichen Zentauren bewacht, den ich nicht kannte. Er begrüßte mich mit einer Verbeugung und öffnete sie für uns.
Es war noch schlimmer als am Tag zuvor. Die Zahl der Patienten musste sich mindestens verdoppelt haben. Die Einteilung in leicht bis schwer Erkrankte ließ sich nicht mehr aufrechterhalten. Die improvisierten Betten überlagerten einander beinahe, und selbst auf dem Fußboden war jeder ehemals freie Platz in ein Krankenlager verwandelt worden. Gedämpfte Geräusche und leises Weinen kamen aus verschiedenen Ecken des Raumes, aber alles in allem schien eine unnatürliche Stille in der Luft zu hängen, als hätte jemand die Stummtaste gedrückt.
Ich zählte drei Assistenten plus diejenige, der ich hierher gefolgt war. Es dauerte eine Weile, bis ich auch Carolan entdeckte. Er stand in der gegenüberliegenden Ecke des Raumes über ein Bett gebeugt. Während ich ihn beobachtete, richtete er sich langsam auf, griff nach einem Zipfel des beschmutzten Lakens und zog es über den Kopf seines kleinen Patienten. Er drehte sich um, seine Bewegungen die eines alten Mannes, und sah mich. Als Erstes bedeutete er einem Assistenten, den kleinen Körper wegzubringen. Dann nickte er in Richtung der etwas abgegrenzten Händewaschecke und bat mich damit, ihm Gesellschaft zu leisten.
Schnell durchquerte ich den Raum, wobei ich die mitleiderregenden Grüße der Kranken mit kurzen Segnungen erwiderte.
„Das sieht übel aus“, flüsterte ich ihm zu, während er seine Hände wusch. „Es sind so viele!“
„Und selbst jetzt, während wir sprechen, kommen immer neue hinzu. Zwei weitere sind während der Nacht gestorben. Heute Morgen habe ich drei Kinder und eine ältere Frau verloren.“ Er warf einen Blick über seine Schulter, dann sah er mich wieder an und senkte die Stimme noch weiter. „Ich schätze, dass noch mindestens fünf weitere den Tag nicht überleben werden. Und für jeden, der stirbt, kommen drei neue Patienten.“ Er wischte sich mit der Hand über die Stirn. „Ich brauche mehr Quarantäneplatz.“
„Was immer du brauchst, sollst du haben.“
„Nicht weit von hier ist der große Ballsaal. Rhiannon liebte es, große Kostümfeste zu geben, damit sie sich verkleiden und inkognito auf ihrer eigenen Feier erscheinen konnte.“
„Sie war echt seltsam.“
Er nickte zustimmend und fuhr fort: „Wir können die leichteren Fälle dorthin auslagern und die, die gerade erste Anzeichen zeigen. Dann könnten wir die Schwerkranken weiter hierbehalten.“
„Das klingt vernünftig. Wie kann ich helfen?“
„Es müssen etwas mehr als die Hälfte der Kranken verlegt werden, aber ich will nicht, dass gesunde Menschen sie transportieren. Ich dachte, du könntest vielleicht ein paar Zentauren überreden, uns zu helfen.“
Das Bild von Victoria und ihren mehr als fähigen Jägerinnen schoss mir durch den Kopf. „Ich glaube, ich kenne genau die richtigen Zentauren für diese Aufgabe. Fang du an, die Kranken für den Transport vorzubereiten. Ich bringe die Truppen.“
„Die Truppen?“
„Das bedeutet, dass ich mit Hilfe zurückkomme und den Tag retten werde.“
Er sah erleichtert aus. „Danke, Rhea.“
„Kein Problem.“ Bevor ich ging, schenkte ich ihm ein neckendes Lächeln und sagte: „Oh, ich habe übrigens heute Morgen deine Frau gesehen. Sie hat mich gebeten,
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