Auserwählt – Die Linie der Ewigen (German Edition)
Kinderwagen gegen das rechte Schienbein. Das hatte einige Sekunden ganz schön weh getan. Sie entschuldigte sich sofort für ihr Missgeschick, doch ich winkte ab. Es war ja nichts passiert. Im Grunde war ich ihr in diesem Moment für die Ablenkung sogar ein ganz klein wenig dankbar. Aber wirklich nur ein ganz klein wenig.
8
Es war erst halb zwölf gewesen, als ich nach Hause gekommen war. Achtlos hatte ich meine Klamotten auf den Stuhl neben meinem Bett gefeuert, den Handywecker noch schnell auf sechzehn Uhr gestellt und mich in die kuschelig weichen Laken verkrochen. Meine Lieblingsbettwäsche aus Flanell mit den roten Elchen drauf ließ mich sofort in einen tiefen, traumlosen Schlaf gleiten. Nicht mal meine ansonsten auftauchenden Visionen hatten eine Chance gehabt, so fertig war ich gewesen. Kurz vor vier war ich dann von alleine wach geworden und hatte mir als Erstes eine richtig heiße Dusche gegönnt. Das Perlen des Wassers auf meiner beinahe ausgedörrten Haut hatte sich so gut angefühlt, und der Duft meines Lieblingsduschgels hatte meine Lebensgeister wieder geweckt. Es war ein schweres Duschgel, Orient Temptation , zu dem ich auch noch die passende Lotion hatte. Den Namen fand ich ziemlich bescheuert, aber der Duft ließ mich großzügig darüber hinwegsehen. Jedes Mal, wenn ich beides benutzte, schloss ich die Augen und stellte mir vor, durch einen arabischen Garten zu laufen mit jeder Menge Sträucher, Bäume und Hunderten exotischer Blumen in allen möglichen Pinkschattierungen, während sich hinter den weißen Mauern bereits die trockene, unbarmherzige Wüste erstreckte. Der schwere Duft der Blüten mischte sich mit dem heißen, flirrenden Charakter des rot schimmernden Sandmeers. Irgendwann wollte ich mal in die Vereinigten Arabischen Emirate und mir genau diesen Traum erfüllen. Irgendwann einmal die Wüste sehen. Irgendwann …
Doch nun hatte ich erst einmal ein anderes – nun ja, nennen wir es mal Problem – zu bewältigen : den heutigen Abend. Mir wurde schlagartig flau im Magen. Die Wohnung war präsentabel, da war ich immer sehr penibel. Es könnte ja in meiner Abwesenheit das Haus abbrennen und dann wollte ich nicht, dass die Feuerwehr in meiner Bude herumlief und sich dachte: Na, was wohnt denn hier für eine Schlampe? Der Dank für diese Paranoia gebührte meiner Mutter, die stets vor jedem Urlaub eine Rundumreinigung aus eben jenem Grund bei sich durchführte. Ich war mit diesem recht absurden Gedanken nun einmal groß geworden. Absurd deshalb, weil, wenn es brannte, die Feuerwehr reichlich andere Sorgen haben würde, als den Ordnungsgrad meiner Wohnung zu inspizieren. Trotzdem, so fühlte ich mich einfach wohler. Und wenn einmal in fünfzig Lichtjahren unangemeldet Besuch kam, so musste ich nicht wie meine Cousine Betty in helle Panik verfallen und meinen String vom Vortag unter dem Sofakissen verstecken. So geschehen an ihrem zweiunddreißigsten Geburtstag, an dem ihre Familie, meine Eltern und ich sie überraschend am Abend besucht hatten. Betty, die sonst immer wie aus dem Ei gepellt aussah und stets Schuhe und Handtasche farblich aufeinander abstimmte, hatte an diesem Abend Glück. Ich fand den Slip und ließ ihn unbemerkt vom Rest der Gästeschar in meine Hosentasche wandern. In einem stillen Moment hatte ich ihn ihr später übergeben. Seitdem hatte ich bei ihr was gut. Die Wohnung war also aufgeräumt, Knabberzeug hatte ich auch im Vorratsschrank, und Wein wollte Daron mitbringen.
Daron.
Allein wenn ich an ihn dachte, wurde mir abwechselnd heiß und kalt. Er war so faszinierend und gefährlich zugleich, ich konnte ihn einfach nicht in eine mir bekannte Kategorie einordnen. Mal ganz abgesehen davon, dass er mir noch ein paar Antworten auf einige höchst brisante Fragen schuldete. Da wollte ich ihn heute Abend definitiv drauf festnageln, egal wie anziehend er auf mich wirkte und wie unglaublich gut er küssen konnte.
Küssen … Nein, Aline, du reißt dich jetzt zusammen und denkst mit dem Kopf und nicht mit dem Unterleib, schalt ich mich. Auch wenn es da schon wieder verräterisch zu prickeln begann. Klamotten, ich brauch Klamotten, schoss es mir durch den Kopf, als ich auf meinen Wäschehaufen im Schlafzimmer blickte, zugegebenermaßen mein einziger Schwachpunkt in Sachen Ordnung. Hey, nobody’s perfect. Wollte ich Daron nicht im Handtuch die Tür öffnen, musste ich mich wohl oder übel für ein Outfit entscheiden. Nur für welches? Ich wusste zwar, was ich tragen konnte,
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