Auserwählt – Die Linie der Ewigen (German Edition)
ich dir gefalle, wenn es nicht stimmt. Ich kann die Wahrheit durchaus verkraften.“ Daraufhin hatte ich mich aus meiner Daron-Baum-Sandwichposition winden wollen, doch seine Hände packten mich blitzschnell an den Schultern. Gleichzeitig hatte sich Daron noch mehr gegen mich gedrängt und seinen Druck auf meinen Körper verstärkt. Gefangen. Na super. Was eben noch hinreißend und erregend gewesen war, hatte sich innerhalb eines Satzes in beengend, unangenehm und äußerst peinlich verwandelt.
„Hey, damit wollte ich dir nicht zu nahe treten. Vielleicht habe ich mich unglücklich ausgedrückt, dann bitte verzeih mir.“
Bei diesen Worten blickte ich zurück in sein Gesicht. Sorgenfalten hatten sich auf seiner Stirn gebildet, und seine Smaragdaugen trugen den Ausdruck reinen Bedauerns.
„Ich wollte dir sagen, dass ich nicht deine Kleidung sehe oder eine Schicht Farbe im Gesicht. Ich sehe eine wunderschöne Frau mit jeder Menge Herz und dem Mut, ihm zu folgen. Die sich so gibt, wie sie ist, und es nicht nötig hat, sich zu verstellen, wie so viele andere. Ich sehe dich, so wie du bist.“ Er hatte sich kurz räuspern müssen. „Aline, ich bin nicht besonders geübt im … Reden . Ich komme leider nicht oft unter … Menschen, und das letzte Gespräch mit einem weiblichen Wesen ist auch schon eine ganze Weile her. Ich wollte dir wirklich nicht wehtun. Bitte, nimm meine Entschuldigung an.“
Während dieser Worte hatte er sich zweimal die Haare aus dem Gesicht gestrichen und hinters Ohr geklemmt. Ganz eindeutig, er war nervös gewesen. Dieses Prachtexemplar von Mann, das jede Frau hätte haben können und laut seinen Worten aus irgendeinem Grund offenbar doch nicht hatte, war nervös, weil er mit mir sprach. Mit mir! Seine Worte hatten so ehrlich geklungen, seine Körpersprache so aufrichtig gewirkt, dass ich entgegen meiner Angst vor einer erneuten Erniedrigung den Knoten in meinem Bauch gelöst und seinem treuherzigen Hundeblick nachgegeben hatte.
Die ersten Schlucke Tee wärmten meinen Magen, und seine Stärke verschaffte mir den nötigen Hallo-wach-Effekt. Ich schlurfte mit meiner Tasse ins Bad, stellte sie auf den Spülkasten und stützte mich mit den Händen am Waschbecken ab. Der Blick in den Spiegel zeigte mir eine Person, die ich zwar nicht kannte, aber trotzdem schminken musste. Bis zu meinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr hatte ich die Nächte durchfeiern können und war am nächsten Morgen trotzdem fit und frisch zur Arbeit gegangen. Danach allerdings war es rapide bergab gegangen, und mittlerweile gab es gar nicht genug Augenseren und Gurkenscheiben, die ich mir ins Gesicht knallen konnte, um nach nur fünf Stunden Schlaf wenigstens einigermaßen vorzeigbar zu sein. Letzte Nacht hatte ich sogar nur ganze zwei Stunden geschlafen. Die daraus resultierende optische Katastrophe können Sie sich wohl vorstellen. Während ich also meinem allmorgendlichen Beautyritual nachging, das sich schon in eine Art Automatismus verwandelt hatte, schweiften meine Gedanken wieder zurück an die Szene unter der Pappel, die noch gar nicht so lange her war.
Ich hatte Daron geglaubt, dass es ihm leidgetan hatte. Weil – und da war ich mir gegenüber schonungslos ehrlich – ich es einfach hatte glauben wollen . Weil es fast zu schön war, um wahr zu sein. Ein unglaublich toller Mann hatte mich geküsst und sein Interesse an mir bekundet. Hallo Jackpot! Nun gut, wenn man mal von den Begleitumständen absah, die zugegebenermaßen mehr als mysteriös waren. Da würde ich ihm noch auf den Zahn fühlen, dieses Versprechen hatte ich mir selbst gegeben.
„Okay, einen Fettnapf pro Woche hat jeder frei“, hatte ich mit leicht belegter Stimme geantwortet, „Entschuldigung akzeptiert.“ Erleichterung war in Darons Augen getreten und eine Anspannung, von der ich gar nicht gemerkt hatte, dass sie ihn erfasst hatte, aus seiner Haltung gewichen.
„Du glaubst gar nicht, wie froh ich darüber bin, dass du das sagst.“
Wieder hatte er meine Wange berührt und ich dabei unabsichtlich mein Gesicht in seine Hand geschmiegt, seinem wunderbaren Duft folgend, der besonders stark auf seinem Handgelenk lag. Mittlerweile hatte ich einen solchen Overkill an Empfindungen in mir gespürt, dass ich kaum mehr hatte geradeaus denken können. All meine Fragen, all die Ungereimtheiten waren in diesem Moment für mich nicht mehr existent gewesen, ich merkte auf einmal nur noch, wie unsagbar erschöpft ich war. Die Nacht hatte bereits begonnen,
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