Auserwählt – Die Linie der Ewigen (German Edition)
erneut für einen kurzen Moment in die Stille der Wüste, während seine Hände, die mich hielten, nach Wald und frischem Regen dufteten. Ich wog kurz meine Möglichkeiten ab.
Entweder weiter schmollen und damit Daron vergraulen – keine gute Idee. Oder die Dinge so nehmen, wie sie kommen, und schauen, wohin sie mich führen. Ich konnte ja jederzeit Nein sagen, wenn mir was nicht passte. Klang zwar auch nicht hundertprozentig überzeugend, war aber eindeutig die bessere Alternative.
„Okay“, sagte ich, „dann überrasche mich mal.“
„Nichts lieber als das“, erwiderte Daron und wollte mich gerade zu sich drehen, um mich zu küssen, als ein verdächtiges „Ping“ die Ankunft im Penthouse signalisierte.
„Schade“, seufzte er, „von mir aus hätten wir ruhig noch länger da drin bleiben können. Aber nun gut, dann lass uns mal eintreten.“ Er zückte einen Schlüsselbund, steckte einen der vielen Schlüssel ins Schloss neben den Knöpfen, drehte ihn, und schon öffnete sich die Fahrstuhltür. Ich war überwältigt. Beeindruckt hätte es nicht annähernd getroffen.
Weicher, beigefarbener Teppich führte in einen riesigen Raum, an dessen rechter Seite ein knisterndes Feuer in einem Kamin loderte, während davor eine Sitzgruppe aus feinstem Leder um einen ungewöhnlichen Couchtisch stand. Die Oberfläche des Tisches war aus Glas und ruhte auf einem Sockel aus Holz. Es sah fast aus wie ein kleiner Baum, dessen Krone die Tischfläche bildete. Irgendwie konnte ich mir schon denken, um was für ein Holz es sich dabei handelte. An der Wand stand ein Regal mit allerlei Büchern und antik aussehenden Sachen. Als ich näher trat, erkannte ich unter anderem eine Schale mit Runen.
„Ein altes Familienerbe“, bemerkte Daron, als er sah, wie ich die schwarzen Steine betrachtete, „aber ich benutze sie nicht.“
„Dazu sind sie sicher zu wertvoll“, meinte ich.
Daron zuckte die Achseln.
„Mag sein. Ich habe mich nie dafür interessiert. Der ideelle Wert einer Sache ist mir immer wichtiger als der materielle.“
Sagt sich leicht, wenn man lebt wie ein König, schoss es mir durch den Kopf, doch glücklicherweise konnte ich gerade noch die Klappe halten. Meine Nervosität machte mich unleidlich, aber es war keine gute Idee, das an Daron auszulassen, zumal er nun wirklich nichts für seine offensichtlich außerordentlich privilegierte Situation konnte. Reiß dich zusammen, mahnte ich mich in Gedanken, du bist gerade dabei, dir was ganz Tolles zu versauen. Hatte mich Betty nicht heute Morgen erst gebeten, genau das nicht zu tun? Nein, ich würde versuchen, einfach mal die Zügel aus der Hand zu geben und den Abend zu genießen, auch wenn ich nicht wusste, was noch kommen sollte. Etwas mehr Flexibilität würde mir sicher gut tun.
Ich atmete tief durch und ging an der Wand entlang zur linken Seite des Raumes, die von einer breiten Fensterfront gesäumt war. Kein Balkon, einfach nur Glas vom Boden bis zur Decke, das mich von einem Sturz in die Tiefe trennte. Auch wenn die nächtliche Aussicht über das Lichtermeer der Stadt atemberaubend schön war, hatte ich doch ein mulmiges Gefühl, so nahe am Abgrund zu stehen, und trat einen Schritt zurück. Daron war neben mich getreten, seinen Mantel hatte er bereits aufgehängt. Ich musste kurz schlucken.
„Ganz schön hoch. Im wie vielten Stock sind wir hier noch mal?“
„Im vierzigsten.“
Ich legte meine Stirn in Falten. „Im vierzigsten? Das höchste Gebäude in der Stadt hat laut Touristeninfo nur 37 Stockwerke.“
„Das ist die offizielle Version“, lächelte Daron, „aber das McÉag-Building ist in Wirklichkeit das höchste. Auf diese Weise vermeiden wir Horden von knipsenden Japanern und anderen Touristen. Unbefugten ist zudem hier im ganzen Gebäude der Zutritt verboten.“
„Das McÉag-Building?“, fragte ich ungläubig. „Jetzt erzähl mir bitte nicht, dass dir dieses Hochhaus gehört!“
Daron zuckte die Schultern. „Tut es auch nicht. Es gehört meinem Vater.“
Mein Mund stand einen gefühlten Kilometer weit offen, und ich dachte, ich hätte mich verhört. Aline Heidemann, kleine Sachbearbeiterin in einer amerikanischen Kippenfirma, hatte sich offenbar den Spross einer Milliardärsfamilie geangelt. Ja klar, und aus meinem Hintern wuchsen Blumen.
Ohne eine Antwort abzuwarten nahm mir Daron meinen Mantel ab und führte mich an der Garderobe vorbei in die Küche nebenan. Es war die schönste Küche, die ich je gesehen hatte. Komplett in
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