Auserwählt – Die Linie der Ewigen (German Edition)
Männer, ich fasse das mal zusammen: Ich, die mit Visionen gestrafte Bewahrerin – was auch immer das genau bedeutet – sitze hier am Tisch mit zwei von dreihundertzehn Jahre alten Achtlingen, die, soweit ich bisher mitbekommen habe, nicht nur einer Modelkartei entsprungen zu sein scheinen, sondern von denen mich auch einer zu vergewaltigen versucht hat, während der, den ich liebe, sich bei meiner Rettung schwarz verfärbte und Flügel bekam. Also ehrlich … Nehmt es mir nicht übel, wenn das so trocken klingt. Ich versuche einfach nur, die Fakten in meinem Kopf zu ordnen, ohne den Verstand zu verlieren.“
Was für ein Wahnsinn. Ich schlug die Augen auf und blickte in zwei sorgenvolle Gesichter. Alan setzte an, etwas zu sagen, besann sich aber dann doch eines Besseren und nahm lieber noch einen Schluck aus seiner Tasse. Daron ergriff erneut meine Hand.
„Das hört sich tatsächlich schlimm an, wenn du das so sagst, aber im Grunde entspricht es den Tatsachen. Ich habe dir Antworten versprochen, jetzt bekommst du sie. Und wir sind noch lange nicht am Ende. Denkst du, du schaffst das, oder brauchst du eine Pause?“
Ich lachte beinahe hysterisch auf.
„Ehrlich gesagt, was ich jetzt dringender bräuchte als eine Pause, wäre ein starker Drink. Kaffee tut es bei dem Sachverhalt nicht mehr für mich.“
„Kein Problem“, sagte Alan, erhob sich von seinem Stuhl und ging zu einem der Küchenschränke, in dem sich diverse Flaschen stauten. Er nahm ein schweres, viereckiges Gefäß aus Glas mit einem großen Deckel heraus, wie ich es schon öfter im Fernsehen bei sehr reichen Leuten gesehen hatte, und füllte drei Longdrinkgläser, die er ebenfalls im Schrank gefunden hatte. „Pur oder on the rocks?“, fragte er, ohne sich umzudrehen.
„Pur“, antworteten Daron und ich wie aus einem Mund. Darüber musste ich lächeln und drehte mich um, um in diese bezaubernd grünen Smaragde zu sehen, über denen sich eine tiefe Sorgenfalte gebildet hatte. Darons Blick war so voller Liebe, dass er mir ein Kribbeln die Wirbelsäule hinauf schickte. Die Anziehung, die zwischen uns herrschte, war beinahe magisch und zum Greifen real. Noch bevor ich klar denken konnte, ließ ich mich von meinen Gefühlen übermannen, lehnte ich mich vor und gab ihm einen innigen Kuss. Zuerst schien ihn dieser kleine Überfall zu überraschen, aber in der nächsten Sekunde erwiderte er den Kuss mindestens genauso heftig. Ich schob für einen Moment all meine Gedanken beiseite und wollte einfach nur diese warmen, weichen Lippen auf meinen spüren, egal, wen oder was ich da gerade küsste.
„Hach, wie schön muss Liebe sein“, hörten wir Alan neben uns spötteln. Erschrocken lösten wir uns aus unserem Kuss, der ohne Unterbrechung sicher zu weitaus mehr geführt hätte. Alan saß bereits wieder, schob uns die mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit gefüllten Longdrinkgläser zu und grinste, als wüsste er genau, was er gerade noch verhindert hatte. Röte kroch in meinem Gesicht nach oben, und so vergrub ich mich schnell hinter meinem Glas, dessen Inhalt ich vor lauter Aufregung auf einen Schwung leerte.
„Vorsicht!“, riefen die beiden Männer noch, doch da war es schon passiert. Die Flüssigkeit brannte in meiner Kehle so sehr, dass ich dachte, sie müsste mir auf dem Weg nach unten alles verätzen, was sie berührte. Tränen schossen mir in die Augen, und ich japste mühsam nach Luft.
„Himmel“, krächzte ich, „was ist das für ein Teufelszeug?“
Alan bekam sich vor Lachen nicht mehr ein, und auch Daron hatte Mühe, die Fassung zu bewahren.
„Schau dir deine Freundin an“, grölte Alan, „kippt sich einen über siebzig Jahre alten Whisky, der zu den teuersten der Welt zählt, mal einfach so ex und hopp hinter die Binde.“ Er klopfte sich auf die Schenkel, so sehr schüttelte ihn der Lachkrampf.
„Kleines“, schmunzelte Daron, „einen Zwanzigtausend-Dollar-Whisky sollte man eigentlich in Ruhe genießen und nicht einfach so vernichten. Aber mein Großhirn von Bruder hätte ja für den Anfang auch einen Drink wählen können, der nicht gleich in die Vollen geht.“ Mit diesen Worten warf er Alan einen tadelnden Blick zu, der sich mittlerweile die Tränen aus dem Gesicht wischte und kichernd hinzufügte: „Für die Gäste nur das Beste! Das hat Mutter uns schon früh beigebracht.“
Bei diesen Worten erstarb das Gelächter automatisch wie schon vorhin auf der Couch, als Darons Mutter zum ersten Mal zur Sprache kam.
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