Auserwählt – Die Linie der Ewigen (German Edition)
verstößt an und für sich gegen die Regeln. Doch Alan und ich haben vorhin am Telefon darüber gesprochen und sind darin übereingekommen, dass, wenn du fragen solltest, ich dir antworten werde. Schließlich hat Mael als Erster unsere Gesetze missachtet, als er sich dir in eindeutig egoistischer Absicht im Traum gezeigt hat. Somit haben wir hier eine Ausnahmesituation.“
Ich hielt die Spannung kaum aus und biss, um mich abzulenken, erneut von meinem leckeren Brötchen ab. Den Geschmack der Datteln nahm ich mittlerweile kaum mehr wahr.
„Wir Ewigen sind nicht an diese Welt gebunden. Ort, Zeit und Raum spielen für uns nur eine untergeordnete Rolle. Wir können uns, wann immer wir wollen, wohin auch immer wir wollen transportieren. Was denkst du, wie es uns sonst möglich wäre, all die Seelen rund um den Globus zu jeder Tages- und Nachtzeit zu besuchen und nach Hause zu begleiten, oftmals mehrere Hundert zum exakt gleichen Zeitpunkt? Für den menschlichen Verstand ist das nicht zu begreifen, da er nur für das langsame, dreidimensionale Denken geschaffen ist. Die Welt besteht jedoch aus so viel mehr, Aline. So viel mehr, als der menschliche Verstand begreifen kann … Ich, so wie ich jetzt hier gerade vor dir sitze, bin echt. Wenn du mich berührst, berührst du das, was ich bin, meinen Körper, meine Hülle für diese Ebene der Realität. Doch während du mich berührst, befinde ich mich zeitgleich auch an zig anderen Orten der Welt und gehe meiner Aufgabe nach. Wenn es dir das Verständnis erleichtert, dann stell dir vor, dass sich jede Sekunde Hunderte Bruchstücke meiner Seele auf einer anderen Metaebene von mir abspalten und ihrer Bestimmung nachgehen, während der Kern gleich einem Anker in dieser Realität verweilt.“
Wow.
Das erklärte so einiges, unter anderem auch Fragen, die ich mir bis dato noch gar nicht gestellt hatte. So verrückt es sich anhörte, so ergab es auch gleichzeitig Sinn. Bis auf …
„Aber wenn sich nur Teile eurer Seele auf einer anderen Ebene abspalten können – wie konnte sich dann Mael mit seinem echten Körper hier in diesen dreidimensionalen Raum beamen? Bitte entschuldige den Science-Fiction-Ausdruck, aber ein besserer fällt mir gerade nicht ein.“
„Das“, seufzte Daron und blickte grimmig auf seinen Teller, „ist eine Frage, die wir uns selbst nicht beantworten können. Mael war schon immer darauf versessen, besser als alle anderen zu sein, in allen Bereichen, die du dir denken kannst. Was er nicht konnte, lernte er, und was er nicht hatte, machte er sich zu eigen. Seine Sünde, der Neid, hat in den letzten hundert Jahren offenbar zu stark auf ihn abgefärbt. Wenn du tagein, tagaus mit nur einer Sünde konfrontierst bist, dann kann das durchaus passieren. Die meisten Ewigen sind sehr diszipliniert und lassen sich nicht beeinflussen, aber Mael wäre nicht der Erste, dem das passiert. Vater hat sich aktuell seiner angenommen und wird sich um dieses … Problem kümmern.“
Fast hätte ich mich an meinem Orangensaft verschluckt, denn mir fiel meine Frage vom letzten Abend wieder ein.
„Mael ist also wirklich nicht …“ – ach, verdammt, ich fischte nach einem passenden Ausdruck und fand doch keinen – „… tot?“
Verwunderung lag in Darons Blick, als er von seinem Teller zu mir aufsah.
„Nein, natürlich nicht, wie kommst du darauf?“
„Ach, nur so“, antwortete ich lakonisch. „Weißt du, du in deiner wahren Gestalt, die Hand auf seiner Brust, das schwarze Licht, der Schaum vor Maels Mund und die Tatsache, dass er sich nicht mehr bewegt hat, das hat schon schwer danach ausgesehen, als hättest du ihn über den Jordan geschickt.“ So langsam missfielen mir all diese Ausdrücke immer mehr, aber ich hatte einfach keine besseren parat.
Ein leichtes Lächeln zeichnete sich auf Darons Gesicht ab.
„Du hast recht, für dich muss das in diesem Moment tatsächlich so ausgesehen haben. Nein, Mael ist … es geht ihm gut. Ich habe ihn lediglich, sagen wir, ruhig gestellt und seine Seele in die andere Welt zurückgeschickt, in der Vater über alles wacht. Wir gehen nicht oft auf die andere Seite, aber wenn, dann lassen wir unseren Körper hier zurück. Dort drüben können wir ihn nicht brauchen, er wäre zu schwerfällig in seiner Dreidimensionalität. Um auf diese Ebene zu gelangen, müssen wir uns einfach nur sehr stark konzentrieren, wie in einer Art Meditation, so wie wenige Menschen sie auch beherrschen. Werden wir dagegen mit Gewalt gezwungen, was
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