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Auserwaehlt

Auserwaehlt

Titel: Auserwaehlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Nowak
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Gregor sende ihr diese
Botschaften.“
Christine setzte sich wieder. Sobald sie nicht mehr in Bewegung war, wirkte sie
plump.
„Wenn ich den erwische, der Helga das angetan hat. Ich bringe ihn um!“ Ihre
Augen glühten plötzlich vor Hass und Verzweiflung. „Ich bringe ihn um, diesmal
bringe ich ihn um, das schwöre ich!“
Es entstand eine Pause, betretenes Schweigen. Clara wurde aus der Frau nicht
schlau. Sie suchte den Augenkontakt zu Margot, doch die starrte reglos auf den
Flügel. Clara erschrak. Da war es wieder: Schwarze Löcher wird es immer geben,
sie sind in der Seele der Menschen, hatte Margot einmal gesagt. Mann müsse eben
versuchen, sie zu schließen, selbst wenn eine Schaufel voll Erde lächerlich sei
angesichts des Marianengrabens. Clara hatte damals genickt, ohne zu wissen, was
Margot meinte.
    „Gregor war ja anfangs ein so begabter, junger Mann, das
muss man sagen, den Kopf voller Pläne und Ideen. Ich werde nie vergessen, als
ich ihn das erste Mal sah, da saßen wir bereits alle am Tisch, die Tür ging auf
und da stand er. Die schwarzen Locken standen um seinen Kopf, die dunklen Augen
blitzten ... Er sah irgendwie aus wie ein Dämon.“
Christine Berger klammerte sich an den Kaffee, den Clara zwischenzeitlich für
alle gekocht hatte.
„Wissen Sie, wir haben damals in Chemnitz studiert, ich meine, als es noch
Karl-Marx-Stadt war, wir wohnten in einer dieser Wohnungen mit einem riesigen,
sechseckigen Flur, von jeder Seite ging ein Zimmer ab, ich kann mich noch genau
erinnern, ich sehe sogar noch den alten, mit Blattgold verzierten Spiegel vor
mir, den wir selbst restauriert hatten.“ Sie lächelte schwach. „Wir haben sechs
Jahre in dieser Wohnung gewohnt und manchmal träume ich noch heute davon, ist
das nicht seltsam?“
Clara nickte ins Leere.
„Helga und ich hatten die Zimmer links von der Küche, Erika und Norbert waren
rechts.“ Sie deutete mit dem Kopf nach links und nach rechts, als befände sich
alles vor ihr.
Dann kehrte ihr Blick in die Gegenwart zurück.
„Haben Sie schon mit Erika und Norbert Lechmeier gesprochen?“, fragte sie
Kranich, an die sie sich zwischenzeitlich gewöhnt hatte. Kranich saß wieder auf
dem Klavierhocker.
„Erika ist ja heute Direktorin auf Knauthain.“
„Erika Lechmeier“, nickte Kranich nur.
„Damals hieß sie noch Krug. Erika Krug.“
„Norbert Lechmeier ist also ihr Mann?“
Christine Berger nickte. „Er unterrichtet Deutsch und Philosophie auf Knauthain.“
„Schloss Knauthain wurde 1994 eröffnet“, sagte Kranich nachdenklich. „Erika
Lechmeier wird Direktorin und stellt dann ihre alten Freunde ein?“
„Das hat damit nichts zu tun.“ Christine Berger sah überzeugt aus. „Wir haben
ja alle auf Lehramt studiert, selbst Helga, obwohl es damals so aussah, als
könne sie von ihrer Kunst ganz gut leben, hat das durchgezogen.“
„Helga ist so“, lächelte sie.
„Nur Gregor, der hielt sich schon immer für etwas Besseres“. Sie nahm eine
kleinen Schluck Kaffee.
Über ihnen waren Schritte zu hören.
„Kennen Sie die Nachbarn?“ Kranich deutete nach oben.
Christine Berger schien sie nicht gehört zu haben. „Dieser Egoismus war schon
immer typisch für Gregor. Wir interessierten ihn gar nicht, irgendwie waren wir
nur sein Publikum.“ Sie nickte erstaunt, als habe sie nach all den Jahren ein
treffendes Bild gefunden. „Ja, für ihn waren wir nur das Publikum. Andere
Menschen interessierten ihn im Grunde nicht, als Menschen, meine ich.“
Wieder die Schritte, dann ein Poltern.
„Alles, was Gregor anfasste, zerstörte er“, sagte sie bitter. „Unseren Toaster,
den Spiegel, Helga. Gregor war durch und durch ein destruktiver Charakter. Er
hat Helga das Leben zur Hölle gemacht.“
Clara und Kranich nickten, als wüssten sie, wovon die Frau sprach.
„Im Grunde litt Gregor unter Größenwahn.“ Christine stellte die Tasse auf den
Tisch, erhob sich und ging wieder zum Flügel. „Anfangs war das, wie gesagt,
noch irgendwie ... lustig. Er konnte sehr charmant sein, er konnte einem das
Gefühl geben, man sei eine Welt für ihn.“
Sie streichelte über den schwarzen Lack.
Clara konnte die Berührung fühlen. Niemand unterbrach Christine Bergers
Schweigen.
Wir waren nur sein Publikum ... man war eine Welt für ihn ...
Christine Berger widersprach sich. Fast zwei Jahre hatte das Aufbaustudium in
Kriminologie gedauert, das Clara nach Marias Tod durchgezogen hatte, und fast
zwei Jahre lang war ihr eingebläut worden, dass Widersprüche bei

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