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Ausflug ins Gruene

Ausflug ins Gruene

Titel: Ausflug ins Gruene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Heinrichs
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tief. Ich konnte es kaum fassen.
    »Warum ist hier gar nichts abgesichert?« fragte ich irritiert. »Ich denke, wir leben hier in Deutschland.«
    »Vielleicht werden von dieser Lichtung aus gefällte Bäume abtransportiert«, Leo zeigte auf ein paar Stämme, die an der Seite lagen. »Im übrigen wird hier Kalk abgebaut!« Leo stand so souverän am Abgrund, als sei er der amtlich berufene Steinbruchaufseher, der bald fünfundzwanzigjähriges Betriebsjubiläum feiern würde und für mich eine Sonderführung abhielt.
    Mutig wagte ich einen Schritt auf ihn zu, da er mit seinen Erklärungen noch nicht am Ende zu sein schien.
    »Vom Borketal aus hat sich der Abbau bis weit ins Land hineingefressen.«
    Tatsächlich standen wir unmittelbar vor der riesigen Schlucht, die den Abbau längst hinter sich hatte. Maschinen waren jetzt nur noch im linken Flügel in etwa einem Kilometer Entfernung zu sehen. Man hatte nur teilweise Einblick auf dieses Gebiet. Doch soweit ich sehen konnte, wurden die Wände dort terrassenförmig abgetragen. Erst jetzt entdeckte ich ein Förderband, das wohl bei Betrieb den Kalk über eine kilometerlange Strecke aus dem Steinbruch in Richtung Borketal abtransportierte. Über den Steinbruch hinweg hatte man eine phantastische Aussicht auf die hügelige Landschaft. Zwei kleine Dörfer in der Ferne wirkten, als wären sie wie Nester in diese Idylle hineingelegt worden.
    »Sehr beeindruckend!«
    »Stimmt. Aber was uns ja eigentlich interessiert, ist der Hergang des Mordes.« Leo war so in Fahrt, daß ich keinen Einspruch erhob, sondern brav zuhörte.
    »Also, es muß so gewesen sein: Langensiep kam diesen Spazierweg dahinten entlang.« Leo deutete auf den Weg, auf dem wir eben gekommen waren.
    »Dort kam er also an – natürlich nicht allein, sondern in Begleitung seines Mörders.« Leo verlieh seiner Darstellung Nachdruck, indem er bis zum Weg zurückhuschte und dann demonstrativ die Strecke bis zur Kante abschritt. »Wahrscheinlich gab sein Mörder vor, ihm irgendetwas zeigen zu wollen – ein Tier oder, oder – na, was weiß ich, was man in einem Steinbruch so alles finden kann.«
    Im Moment war dort unten nichts als Geröll und ein paar widerstandsfähige Pflanzen zu sehen. Leo ließ sich nicht aus dem Konzept bringen.
    »Und als sich Bruno ganz an den Rand begeben hatte«, Leo faßte zur Untermalung meinen Arm, »brauchte man nur einmal kurz anzustoßen, und schon hatte man alle Probleme gelöst.« Leo ruckte einmal an meinem Arm, so daß mir fast das Herz stehengeblieben wäre, bevor ich mich durch einen rasanten Schritt in einer sicheren Entfernung von der Abgrundkante postieren konnte.
    »Bist du verrückt, mich so zu erschrecken?« schimpfte ich, »ich bin nicht schwindelfrei.«
    Wie immer schien Leo mein zartes Stimmchen gar nicht wahrzunehmen.
    »Ja, so könnte es gewesen sein«, sinnierte mein Sportpartner.
    »Ja, könnte es«, sagte ich trocken, »das Ganze ist nur mit einem kleinen Problem behaftet. Wie du schon sagtest, es könnte so gewesen sein. Aber es gibt nicht den geringsten Hinweis, daß es so gewesen ist. Sonst hätte sich die Polizei nämlich darauf gestürzt, wie der Geier auf die in der Wüste zurückgelassene Schwiegermutter.«
    »Du hast recht. Wir haben bisher keinerlei Hinweise auf einen Mord«, antwortete Leo und stutzte einen Augenblick. Er tat mir in seinem gebremsten Aktionismus ein klein wenig leid. »Aber es gibt vielleicht doch eine Möglichkeit, der Wahrheit auf die Spur zu kommen.«
    Mein Mitleid verschwand, meine Stimmung sank. Ich ließ mich auf einem Baumstumpf in sicherer Entfernung des Steinbruchs nieder und starrte auf eine Buche, die direkt an der Kante stand. Der Ort mit dieser phantastischen Aussicht schien ein wahrer Treffpunkt für wandernde Liebespaare zu sein, da etliche Buchstaben im Stile von »R.K. + L.H.« in die Rinde eingeritzt waren.
    Untendrunter hatte jemand »Achtung Lebensgefahr« geschnitzt. Wie wahr!
    »Wir könnten versuchen herauszufinden, warum jemand Bruno Langensiep umbringen wollte. Mal abgesehen davon, daß er schrecklich arrogant war und man es nicht ertragen konnte, im Lehrerzimmer noch einen Tag länger neben ihm zu sitzen, gibt es doch sicherlich noch andere Gründe.«
    »Ich weiß aus sicherer Quelle, daß die Polizei im gesamten Umfeld von Langensiep niemanden mit einem Motiv gefunden hat«, entgegnete ich.
    »Das wundert mich nicht«, warf Leo ein. Ich stand auf und wandte mich zum Gehen. Leo folgte mir brav in Richtung

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