Ausflug ins Gruene
Nehmen Sie sie mit, und – Sie wissen schon!«
»Mutter!« Die Tochter war entsetzt. »Ich würde nicht sagen, daß–«
»Haben Sie nicht gehört? Schicken Sie uns die Rechnung!«
»Mutter, laß es uns doch versuchen! Frau Schnittler meint doch–«
»Hast du mich nicht verstanden, Gisela?« Die Alte wandte sich jetzt wieder an Alexa. »Nehmen Sie das Tier mit, Sie brauchen es nicht länger zu untersuchen! Und jetzt bring mich nach nebenan, Gisela! Ich bin erschöpft.«
Die Tochter, Gisela mit Namen, ging langsam auf ihre Mutter zu, als überlegte sie, ob Widerstand angebracht sei. Im Schneckentempo drehte sie dann den Rollstuhl um und fuhr ihn aus dem Zimmer heraus. Alexa kniete vor dem Tisch mit dem mitleiderregenden Geschöpf darauf und war sprachlos. Sie packte ihre Tasche und nahm das Tier auf den Arm. Dann sah sie neben dem Tischchen einen Transportkorb für Katzen. Alexa legte das Tier vorsichtig hinein. Einen Moment überlegte sie, was jetzt zu tun sei. In der einen Hand den Katzenkorb, in der anderen ihre Tasche, öffnete sie mit dem Ellbogen die Tür zum Flur, doch überall war es gespenstisch still. Es war, als hätten alle Bewohner die Wohnung verlassen. Plötzlich hatte Alexa nur noch das Bedürfnis, hier raus zu wollen. Sie drückte die Wohnungstür auf, schob sie mit dem Fuß hinter sich zu und hastete die Treppe hinunter. Als sie fast unten angekommen war, hörte sie eine Tür oben wieder aufgehen und die Stimme der Tochter. Sie war aufgeregt.
»Hallo? Frau Schnittler? Sind Sie noch da?« Alexa überlegte einen Augenblick, ob sie antworten sollte.
»Ja, ich bin hier unten.«
Die Tochter hastete die Treppe herunter.
»Bitte entschuldigen Sie!« brachte sie heraus, mehr vor Aufregung, nicht weil sie außer Atem war. »Meine Mutter ist sehr, sehr – Sie ist nicht wirklich so. Sie hat viel mitgemacht im Leben. Im Grunde liebt sie die Katze.«
Alexa schaute ihr direkt in die Augen. Die Tochter wich dem Blick aus und guckte zu den Briefkästen, die im Flur angebracht waren. Alexa folgte ihrem Blick, der auf ein Namensschild gerichtet war.
»Untersuchen Sie die Katze, bitte, und behalten Sie sie da. Ich werde Sie anrufen und dann besprechen wir, wie es weitergehen soll. Machen Sie sich keine Sorgen, ich werde alles bezahlen.«
Ihr Blick wandte sich wieder dem Namen der Mutter zu, als helfe er ihr beim Formen ihrer Gedanken. Dann sagte sie langsam, fast bedächtig: »Wissen Sie, manchmal könnte ich sie umbringen!«
Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und stieg langsam die Treppe hinauf. Alexa suchte noch einmal mit dem Blick das Namensschild der alten Mutter. Es war aus Messing, oval geformt. »Antonia Erkens« stand dort in geschwungener Schrift. Der Name der Tochter fehlte.
17
»Und Sie fangen jetzt am Elisabeth-Gymnasium an?« Ich schaute verdutzt hoch. Die Stimme gehörte dem Buchhändler, der bis gerade in einem dicken Nachschlagewerk geblättert hatte.
»Woher wissen Sie, ich meine, kennen wir uns?« Der Mann grinste mich vergnügt an. Meine Verwirrung machte ihm sichtlich Spaß.
»Sie leben hier nicht in einer Großstadt wie Köln.«
»Allerdings. Ich hatte schon mehrfach Gelegenheit, das festzustellen.«
Ich schaute mir den Mann genauer an. Er war groß und schlank, hatte lichtes, leicht gewelltes Haar und eine schwarze Brille. Er hatte etwas Verschmitztes im Blick, das einem das zwiespältige Gefühl vermittelte, er mache sich über einen lustig. Ich schätzte ihn auf Anfang fünfzig. Seine Gesichtszüge kamen mir irgendwie bekannt vor, aber ich konnte sie nicht einordnen.
»Was wissen Sie denn noch so über mich?« fragte ich skeptisch.
»Keine Angst«, griemelte der Buchhändler und schlug das Buch zu, mit dem er sich jetzt lange genug beschäftigt hatte. »Ich bin verschwiegen wie eine ägyptische Mumie. Kann ich Ihnen denn sonst irgendwie weiterhelfen?«
Damit schien das Thema für ihn erledigt zu sein. Ich dagegen wurde das Gefühl nicht los, daß die ganze Stadt meine Schuhgröße zu kennen schien, während ich selbst noch über die wenigsten Dinge im Bilde war. Ich ließ mir eine Schullektürefassung zu Schillers Die Räuber zeigen und stöberte dann noch ein wenig in den Regalen. Der Laden war ausgezeichnet sortiert und gut aufgemacht. Die angenehme Ruhe im Geschäft währte jedoch nicht lange. Als ich mich gerade in einen Ratgeber über Rückenleiden vertieft hatte, schallte wiederum die ironische Stimme des Buchhändlers an mein Ohr. »Oh, da ist ja auch
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