Ausflug ins Gruene
der schulischen Kapelle mit seinem grünen Dach war angestrahlt.
Ich fühlte mich plötzlich sehr einsam. Mein Leben würde sich ändern. Ich spürte es ganz genau. Die Straße, auf die ich hier blickte, sprudelte nicht gerade über vor Menschen. Kein Student fuhr mit einem Rucksack auf dem Fahrrad vorbei. Mein Leben, auch das Leben als Journalist, war sehr studentisch gewesen. Ich war in Studentenkneipen gegangen. Ich hatte noch immer Freunde an der Uni gehabt. Mein Leben in der Großstadt war bunt und unruhig gewesen. In dem Haus, in dem ich in Köln meine winzige Wohnung gehabt hatte, hatte außer mir noch eine WG gewohnt, deren Bewohner ständig gewechselt hatten, mal ein Kleinkünstler, dann ein Dauerstudent, der von seiner Mutter mit unerschöpflichen Toilettenpapiervorräten überschwemmt wurde, eine fanatische Salsatänzerin, die jeden Abend einen anderen Typen abgeschleppt hatte und und und. Der einzige Dauerbewohner war ein wenig erfolgreicher Gitarrist gewesen, der mich zwar häufig mit seinem Gejaule genervt, aber dafür mein Leben mit einer Menge verrückter Geschichten bereichert hatte. Das Ambiente im Haus wurde außerdem nicht unwesentlich durch den heruntergekommenen Copy-Shop bestimmt, der sich im Erdgeschoß befand. Jetzt wohnte ich mit zwei zugegebenermaßen netten alten Damen in einem Haus. Oh ja, mein Leben hatte sich geändert. Ich schaute nach unten. Die Straße war still und leer. Ich würde mich noch an vieles gewöhnen müssen. Aber solange es Typen wie Max gab, würde man es wahrscheinlich überall aushalten können.
15
»Na, da ist ja unser neuer Kollege.« Ganz ohne Zweifel war Bernhard Sondermann alias HeSieda ziemlich betrunken.
»Freuen Sie sich denn schon mächtig auf Ihre verantwortungsvolle Aufgabe an unserem ehrenwerten Institut?«
Man mußte kein Psychologe sein, um die Verbitterung in seiner zynischen Rede heraushören zu können.
»Bernie, komm, laß uns jetzt nach Hause gehen, ja?« Bernies Gattin schien gar nicht begeistert davon zu sein, daß Bernie mir ein Gespräch aufzwingen wollte. »Ach, wissen Sie, wir müssen dringend nach Hause, mein Mann ist müde«, wandte sie sich entschuldigend an mich. Sie schob ihrem Mann kurzerhand den Arm unter und führte ihn zur Tür.
»Jetzt laß mich doch mal ein Wort mit unserem jungen Kollegiumsmitglied wechseln. Ich muß ihm sagen, wie gut sich Engagement bei uns auszahlt«, schimpfte HeSieda und versuchte, den lästigen Arm loszuwerden. Keine Chance. Seine Frau war eisern. Sie verabschiedete sich artig von der Gastgeberin und verließ dann mit ihrem Mann im Geleit schleunigst die Party.
Ich starrte dem seltsamen Paar nach. HeSieda entpuppte sich ja mehr und mehr als schillernder Charakter. Roswitha, die Gastgeberin, war offensichtlich froh, daß sie den nervigen Gast endlich los war. Jedenfalls stand sie nun mit einer anderen jungen Frau zusammen, und ihre heftigen Gesten in Richtung Wohnungstür deuteten darauf hin, daß man sich über den gerade entschwundenen Sondermann unterhielt.
Diese Party schien auf jeden Fall ziemlich spannend zu werden. Roswitha Breding, die nette, pummelige Biolehrerin, hatte eine Planstelle am Elli bekommen und aus diesem Grund eine Einladung zur Planstellen-Party ans schwarze Brett geklemmt.
»Na, hast du den guten Sondermann nun auch mal von einer anderen Seite kennengelernt?« Leo Brussner, der pfiffige Sportlehrer, mit dem ich mittlerweile per du war, hatte mich von der Seite aus angesprochen. Er versuchte gerade, mit einem Käsepiekser eine Frucht aus seinem Bowleglas zu fischen. »Verflixt, ich sollte doch lieber beim Bier bleiben.«
»Was war denn mit dem los?«
»Sondermann?« Leo sah mich amüsiert an. Wegen seiner gewaltigen Nase sah er plötzlich aus wie Gerard Depardieus kleiner Bruder.
»Tja, der gute Sondermann. Ich vermute, daß sein Groll auf die Schule mit der Beförderung von Frau Erkens zusammenhängt.« Leo hatte endlich das Stück Ananas in seinem Glas erwischt und betrachtete es mit Anglerstolz, bevor er es sich in den Mund schob.
»Frau Erkens?« Ich blickte mich suchend um, als müßte unweigerlich eine Person mit einem dicken Namensschild auf der Stirn auftauchen.
»Gib dir keine Mühe, sie ist nicht hier«, unterbrach mich Leo und stellte sein Glas zur Seite. »Aber du hast sie schon kennengelernt. Die einzige Frau, die bei unserer Stundenplanbesprechung zugegen war. Wahrscheinlich erinnerst du dich nicht, weil sie die Unauffälligkeit in Person ist. Wenn sie vor
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