Ausflug ins Gruene
»Die Regine ist von den Langensieps aufgezogen worden, als ihre Eltern auf einen Schlag verstorben sind. Das habe ich ihnen ja schon erzählt.«
Erzählt? Mir? Gar nichts hatte er! Ganz tief unten dämmerte mir, daß er mal eine Ziehtochter der Langensieps erwähnt hatte, aber daß das ausgerechnet Regine Langensiep gewesen war, das hatte er garantiert nicht erwähnt.
»Die Mutter von der Regine war eine Cousine von Gertrud Langensiep!« posaunte Frau Dreisam. »Von Verwandtschaft kann da gar keine Rede sein!«
»Trotzdem ein ungewöhnlicher Fall!« sagte Sigrid trotzig.
»Wie alt war Regine denn, als sie zu den Langensieps kam?« fragte ich neugierig.
Herr Dreisam schaute seine Frau an, als stände das Alter auf ihrer Nase. »So zehn wird sie gewesen sein«, meinte er dann.
»Die Langensieps haben alles für die Regine getan. Sie war ihnen wie eine eigene Tochter«, plauderte Frau Dreisam.
»Also doch!« hörte ich Sigrid leise murmeln.
»Bruno und Regine waren ein Herz und eine Seele. Kein Wunder, daß sie geheiratet haben.«
»Ich habe schon viel über die Langensieps gehört«, sagte ich nachdenklich. »Warum habe ich das nie erfahren?«.
»Nun«, Herr Dreisam legte die Fingerspitzen aneinander. »Die Langensieps haben das nie an die große Glocke gehängt. Man sieht ja, wie leicht da Geschwisterei untergeschoben wird.«
»Und dabei ist es ja ein ganz anderer Fall!« sagte Frau Dreisam, »ein ganz anderer Fall!«
Sigrid stand auf. »Ich glaube, es wird Zeit für mich«, sagte sie und unterstrich ihre Aussage durch ein heftiges Gähnen. Plötzlich fiel Frau Dreisam ihre eigentliche Mission wieder ein.
»Ach, Herr Jakobs, vielleicht können Sie ja Sigrid nach Hause bringen! Es ist schon etwas spät, um als Frau allein nach Hause zu gehen.« Ich bejahte und bedankte mich für das Essen, mit meinen Gedanken meilenweit weg.
Sigrid war die Sache mit dem Nachhausebringen genauso peinlich wie mir. »Laß nur!«, sagte sie schon nach wenigen Metern. »Ich komme auch alleine nach Hause.«
Ich lächelte ihr aufmunternd zu. »Ich mache es gern«, versicherte ich ihr. »Vergessen wir einfach die Absicht der Dreisams, aus uns ein glückliches Ehepaar zu machen, und verhalten uns wie erwachsene Menschen.« Sigrid lachte erleichtert, so daß ich sie auf einmal ganz sympathisch fand.
Der Weg zu Sigrids Wohnung war nicht weit. Wir gingen unter einem wunderschönen Sternenhimmel, und Sigrid zeigte mir den Großen Wagen, den Kleinen Wagen und den Löwen, der aussah wie ein großes Trapez. »Leider ist die Jungfrau nicht klar zu erkennen«, sagte sie stirnrunzelnd mit Blick zum Himmel.
»Woher kennst du dich so gut aus?« fragte ich beeindruckt.
»Ich bin bei den Lightwatchers.« erklärte Sigrid. »Das ist eine Gruppe von hobbymäßigen Sternguckern. Wir treffen uns wöchentlich, tauschen uns aus, na ja und gucken eben nach Sternen.« Sie erzählte, daß sie seit zwei Jahren eine kleine Sternwarte auf dem Brinksberg betrieben. Ich war überrascht. Sigrid, die ich für so langweilig gehalten hatte, frönte einem exzentrischen Hobby. Wer hätte das gedacht?
»In unserem Verein ist übrigens auch einer deiner Kollegen aktiv.« Daran hatte ich mich schon gewöhnt. Fast überall schienen sich meine neuen Kollegen rumzutreiben. Gehässig stellte ich mir vor, daß sie sämtliche Vereine und Betriebe unterwanderten, um Werbung für ihre Privatschule zu betreiben.
»Herr Sondermann ist eines unserer engagiertesten Vereinsmitglieder.« Ich horchte auf. Sondermann war ein Hobbyastronom? Ich konnte kaum glauben, daß dieser Choleriker sich in einem Hobby betätigte, das soviel Geduld und Ruhe erforderte.
»Da bin ich aber platt«, gab ich offen zu.
»Jaja, der Sondermann«, murmelte Sigrid vieldeutig, »er interessiert sich zugegebenermaßen weniger für die Sterne als für die Organisation des Vereins. Er hat sich Ende letzten Jahres zum Ersten Vorsitzenden wählen lassen und regelt seitdem alles, als bekäme er dafür ein Managergehalt.« Ich mußte grinsen. Konnte er schon in der Schule nicht das Heft in die Hand nehmen, mußte er es zumindest im Vereinsleben tun.
»Stell dir vor«, plauderte Sigrid, »seitdem er vor vier, fünf Monaten das Amt übernommen hat, hat er kein einziges Mal das Vereinstreffen ausfallen lassen. Selbst an den Januarmorgenden war er immer der Pünktlichste.« Meine Ohren wurden zu Schiffssegeln.
»Habe ich richtig verstanden? Trefft ihr euch immer sonntags?«
»Gewöhnlich treffen wir uns
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