Ausflug ins Gruene
schätzen!«
»Das gibt sich, wenn ich Sie bei Schwester Wulfhilde für den Schulbucheinkauf vorgeschlagen habe!« Radebach winkte und verschwand in Richtung Kinderbücher. Wir waren klar miteinander.
Ich wandte mich einem Regal zu, das mit Lerndisketten bestückt war. »Spielerisch lernen« war das Stichwort. Die Klappentexte vermittelten den Eindruck, man könne lernen, ohne sich im mindesten anzustrengen. Ich hatte gerade meine Suche beendet, als ich erneut angesprochen wurde.
»Guten Morgen, Herr Jakobs.« Als ich mich umdrehte, stand Dr. Ignaz von Feldhausen vor mir. Mir fuhr der Schreck in die Glieder. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich realisiert hatte, daß er ja nicht wußte, daß ich wußte, und so weiter. Feldhausen war wie immer vollendet gekleidet, aber sein Gesicht verriet deutlich, daß er eine unruhige Nacht verbracht hatte. Er war blaß, und seine Augen waren von dunklen Schatten untermalt.
»Ich sah Sie gerade hier hineingehen. Sie sind doch auch mit Frau Schnittler bekannt, nicht wahr?« Ich nickte unsicher.
»Wissen Sie, ich suche sie dringend! Sie hat gestern meinem Pferd eine Spritze gegeben, die es nicht verträgt. Ich muß jetzt unbedingt wissen, wo sie sich aufhält. In ihrer Wohnung ist sie leider nicht zu erreichen. Sie wissen nicht zufällig, wo ich sie finden kann?«
Ich schüttelte den Kopf. »Um ganz ehrlich zu sein, ich habe auch gestern vergeblich versucht, sie zu erreichen. Nein, es tut mir leid, ich kann Ihnen wirklich nicht helfen.« Feldhausen atmete tief durch.
»Gut, dann sehen wir uns also am Montag. Bis dann!«
»Bis dann!« Ich sah ihm noch kurz nach, wie er den Laden verließ und zielstrebig in Richtung Rathaus steuerte. Ich versuchte mich zu konzentrieren. Traute ich Feldhausen einen Mord zu? Ich dachte über Bruno Langensiep nach. Ich war mir sicher. Bei genügend Provokationen konnte jeder ein Mörder sein. Auch Ignaz von Feldhausen.
Daß ich schon morgens zu Regine Langensiep fuhr, hatte vor allem damit zu tun, daß ich keine Lust zum Arbeiten hatte. Ich rechtfertigte mich mit dem Vorwand, daß ich nachher noch genügend Zeit zur Unterrichtsvorbereitung finden würde. Der Samstag war schließlich noch lang. Kurz vor dem Aufbruch schellte das Telefon. Es war Leo.
»Wo steckst du denn?« fuhr ich ihn an.
Seine Stimme kam von weit her. »Paß auf, ich bin kurzfristig nach München gefahren, zu meiner Schwester.«
»Wie reizend! Erst stachelst du die ganze Langensiep-Nachforschung an, und jetzt machst du dich vom Acker.«
»Es tut mir leid, Vincent. Aber meine Schwester braucht dringend meine Hilfe. Sonst hätte ich mich doch nicht so schnell ins Auto gesetzt, um zu ihr zu kommen. Gibt es denn etwas Neues?«
»Ja, einiges! Zum Beispiel, daß Sondermann aus dem Rennen ist. Er war auf einer Versammlung von Sternenguckern. Außerdem hätte ich deine Hilfe gebraucht, um in der Schule einen Computercode zu knacken.«
»Um ehrlich zu sein: Da hätte ich sowieso nicht weiter gewußt. Ich weiß gerade mal, was die Delete-Taste bedeutet. Warte doch einfach das Wochenende ab! Dann können wir alles besprechen. Morgen kann ich hoffentlich hier wieder verschwinden.«
»Es gibt noch etwas Neues! Wußtest du, daß Bruno Langensiep und seine Frau so eine Art Halbgeschwister waren, nicht direkt blutsverwandt, aber im selben Haushalt aufgewachsen? Regine war eine Ziehtochter der Langensieps.«
»Was? Nein, das ist mir neu!«
»Diese Information scheinen nur die Alteingesessenen zu haben, und die sprechen nicht drüber.«
»Das ist wirklich erstaunlich«, sagte Leo nachdenklich, »da sitzt man jahrelang neben dem Langensiep im Lehrerzimmer, da kennt man unendlich viele Leute in dieser Stadt und weiß sowas nicht?«
»Ich glaube, das ist eins dieser sauerländischen Geheimnisse«, murmelte ich. »Man weiß eben, worüber man spricht und worüber nicht!«
Leo war richtig ungehalten: »Und Leute wie du und ich, die zugezogen sind, gehen unwissend ins Grab.«
»Wir müssen auf jeden Fall -«
»Vincent, tut mir leid, daß ich dich unterbreche. Meine Schwester kriegt gerade wieder einen Heulkrampf.« Leo senkte die Stimme. »Ihr Mann hat sie verlassen. Nach acht Jahren Ehe. Der Scheißkerl. Ich mache jetzt besser Schluß. Bis Montag!«
Das Gespräch war beendet. Na toll. Da saß ich nun in meiner Stube mit einem Haufen ungeklärter Fragen. Ich überlegte einen Augenblick, ob ich tatsächlich auf Leo warten sollte. Die Alternative war der Schreibtisch. Da wollte ich dann
Weitere Kostenlose Bücher