Ausflug ins Gruene
doch lieber zunächst Regine Langensiep einen Besuch abstatten.
Entweder hatte ich einfach tierisch viel Glück oder Regine Langensiep war praktisch immer zu Hause. Sie schien keine Ablenkung von ihrer Trauer zu suchen, sondern brauchte wohl noch viel Zeit allein, um mit ihrer neuen Situation fertig zu werden. Trotzdem wirkte sie erfreut, als sie sah, wer vor der Tür stand.
»Hallo, Frau Langensiep, darf ich reinkommen?«
»Natürlich, wenn die herumliegenden Putzsachen Sie nicht stören.« Der Staubsauger und der Wassereimer, die im Flur standen, erinnerten mich daran, daß ich meiner Wohnung auch mal etwas Pflege gönnen könnte. Wir gingen zum Eßzimmer, das bereits unser Stammplatz geworden war. Regine warf ein Staubtuch vom Sofa.
»Haben Sie mit dem Manuskript was anfangen können?« Ich hatte es die ganze Zeit in der Hand gehalten und legte es jetzt auf den Tisch vor mir.
»Um ehrlich zu sein, es ist nicht das, was ich suche.«
»Oh, das tut mir leid! Sind Sie jetzt gekommen, um sich nochmal umzusehen?«
»Nein, das ist jetzt nicht so wichtig. Eigentlich möchte ich Ihnen was erzählen. Das Manuskript, das Sie mir gebracht haben, ist ein Roman, sagen wir ein Romanversuch Ihres Mannes.«
»Bruno hat einen Roman geschrieben?« Regine war mehr als überrascht. »Davon habe ich überhaupt nichts gewußt. Haben Sie darin gelesen?« Regine sah mich gespannt an.
»Ja, hab ich. Ich vermute, es ist eine Art Autobiographie. Ihr Mann hat sein eigenes Leben beschrieben. Jedenfalls stimmen viele Dinge mit dem überein, was ich über Ihren Mann vom Hörensagen weiß.«
»Er hat über sich selbst geschrieben?« Regine war inzwischen ganz aufgeregt. »Dann komme ich ja auch in dem Buch vor, oder wie?«
»Ja, natürlich! Die Hauptfigur ist ein Konstantin Soundso, d.h. Ihr Mann hat nicht aus der Ich-Perspektive erzählt, sondern eine Figur geschaffen, der er sein eigenes Leben geschenkt hat. Dieser Konstantin heiratet seine erste Jugendliebe, nimmt eine Stelle in seiner Heimatstadt an und lebt dort vor sich hin.«
»Und dann?« Regine hing aufgeregt an meinen Lippen. »Dann erfolgt die Wende in der Geschichte. Konstantin empfindet sein Leben bis dahin als inhaltsleer, doch plötzlich geht ihm auf, daß er eigentlich für die Kunst, für das Schreiben geschaffen ist. Damit läutet er eine erfülltere Phase in seinem Leben ein.« Regine schaute mich fasziniert an.
»Und weiter. Wie geht es weiter?«
»Dann geht es leider nicht weiter. Der Roman endet abrupt an dieser Stelle. Ich vermute, es fehlt ein Teil des Manuskripts.«
Regine überlegte einen Augenblick. Dann hob sie den Kopf. »Ich habe davon nichts gewußt. Nicht die leiseste Ahnung hatte ich von seinem Hobby.«
»Ich schätze, er hat alles in der Schule geschrieben. Als ich hier war, habe ich keinen Computer in seinem Zimmer gesehen.«
»Das stimmt! Wir haben beide keinen. Tatsächlich hat Bruno viele Stunden auch außerhalb des Unterrichts in der Schule verbracht. Ich habe mich nie erkundigt, was genau er da machte.« Es folgte eine kurze Zeit der Stille. Regine schien zu verarbeiten, daß ihr Mann sich ihr in keiner Weise anvertraut hatte.
»Ich muß Ihnen noch mehr sagen.« Regine schaute mich erstaunt an. »Ich habe erfahren, daß Ihr Mann seinen Kollegen von Feldhausen erpreßt hat. Er wußte etwas über ihn, das Feldhausen geheimhalten wollte. Ihr Mann hat versucht, daraus Vorteil zu schlagen.«
Regine schaute mich bestürzt an. »Das ist, ich kann gar nicht- Was wollte Bruno denn? Geld?«
»Er wollte vor allem, daß Feldhausens Bruder, der einen großen Buchverlag besitzt, seinen Roman veröffentlicht.«
Regine legte ihre Hand an die Stirn, als könne sie das alles nicht fassen. »Mein Gott, das ist ja furchtbar.«
»Regine«, ich neigte mich zu ihr und schaute ihr ernst in die Augen, »ich glaube, daß Ihr Mann nicht durch einen Unfall ums Leben gekommen ist. Ich glaube, daß er ermordet worden ist.«
Regines Gesicht wurde blaß. »Ich habe es geahnt«, sagte sie leise.
»Es könnte sein, daß der Schluß des Romans Aufschluß über den Tod Ihres Mannes gibt. Zumindest ist es einen Versuch wert. Haben Sie eine Ahnung, wo sich der Rest befinden könnte?«
Regine blickte ins Leere. Dann wandte sie sich wieder mir zu. »Ich habe in letzter Zeit fast das ganze Haus auf den Kopf gestellt, aber ich kann mich an nichts erinnern, das so aussah.«
»Versuchen Sie nochmal nachzudenken«, redete ich auf sie ein, »und rufen Sie mich bitte an, wenn
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