Ausflug ins Gruene
immer noch, ich müßte nur frei sein, dann würde schon alles gut werden mit Rainer und mir.«
Regine zog die Nase hoch, als könne sie so verhindern, daß sie irgendwann in Tränen ausbrechen würde. »In der Nacht, als es passierte, hatte ich mit Bruno gesprochen. Er war erst spät am Abend zurückgekommen und saß dann noch lange im Wohnzimmer.« Sie zeigte auf den Durchgang zum Nachbarzimmer. »Als er ins Schlafzimmer kam, war es etwa drei Uhr in der Nacht.« Regine hob ihre Hände und legte sie an ihre Wangen, als müsse sie ihren Kopf stützen. »Er hatte sofort gemerkt, daß ich nicht schlief. Normalerweise ignorierten wir einander im Schlafzimmer, ja, eigentlich überall im Haus. Daß wir noch ein gemeinsames Schlafzimmer teilten, lag sowieso nur an meiner Unfähigkeit, mich durchzusetzen.« Regine atmete tief durch und sprach weiter. »Bruno setzte sich im Bett hin und legte seine Hand an meinen Rücken.«
Regine sah aus, als würde ihr die Vorstellung noch jetzt Abscheu bereiten. »Ich traute mich nicht, mich zu bewegen. Ich hoffte nur, daß diese Hand verschwinden würde. Kein einziges Mal hatte Bruno versucht, körperlich Kontakt aufzunehmen, seit etlichen Jahren schon.« Regine starrte auf den Fußboden vor sich.
»Was passierte weiter in jener Nacht?« Die Geschichte mußte zu Ende erzählt werden, ob ich wollte oder nicht. Regine setzte sich mir gegenüber auf einen Stuhl. Ganz gerade saß sie da, steif wie ein Brett, die Hände vor sich auf dem Tisch gefalten.
»Bruno fing ein Gespräch über unsere Ehe an. Er kam wieder auf einen Neuanfang zu sprechen, einen Neuanfang, von dem ich nichts hören wollte. Er sprach von einer Paartherapie. In Gedanken gab ich ihm Antworten, hielt ich gegen seine Argumente, doch in der Dunkelheit dieser Nacht brachte ich wieder einmal kein einziges Wort heraus. Er machte häufig lange Pausen, so daß ich glaubte, er sei vielleicht eingeschlafen. Dann sprach er plötzlich weiter. Als ich das Gefühl hatte, daß er seinen Vortrag beendet hatte, sprach ich nur einen Satz. ›Es gibt in unserer Ehe nichts zu reparieren‹, sagte ich, ›weil nie etwas da war, was sich zu reparieren lohnte‹«
Trotz der Dunkelheit im Zimmer spürte ich, daß Bruno versteinerte. Er lag da wie tot. Ich hatte wirklich das Gefühl, daß er nicht atmete. Irgendwann am Morgen stand er auf. Ich ahnte, was er vorhatte. Er wollte in den Wald. Er tat das häufig, fast jeden Sonntagmorgen. Nur brach er meist zwei Stunden später auf, so gegen neun oder zehn. Ich hörte, wie er seine Schuhe anzog, den Reißverschluß an der Jacke hochzog und das Haus verließ. Ich weiß nicht, was mich dazu trieb. Aber ich zog mir ebenfalls etwas über und folgte ihm leise. Draußen war es dunkler, als ich erwartet hatte. Ein kalter, trockener Januarmorgen eben.
Ich hatte Mühe, Bruno zu folgen. Er ging zügig und fand sich im Halbdunkeln auf den Waldwegen besser zurecht als ich. Die ganze Zeit, während ich ihm folgte wie eine Katze, wußte ich nicht, warum ich es tat. Ich hatte nur eine dunkle Ahnung, ganz tief in mir, daß sich daraus etwas ergeben könnte, eine Veränderung. Es sollte etwas passieren. Der Zustand lähmenden Abwartens sollte beendet werden.« Regine schwieg. Ich ließ ihr Zeit und hielt den Atem an, um meinen Körper unter Kontrolle zu halten.
»Als Bruno sich dem Steinbruch näherte, spürte ich, daß ich etwas tun würde. Ich hatte keinen Plan. Ich wußte nicht, was ich tat, bis ich es tat. Verstehen Sie?«
Ich reagierte nicht, sondern starrte Regine nur stumm an.
»Als ich an der Lichtung vorbeikam, wo man ohne Zaun bis zum Steinbruch vordringen kann, bog ich vom Weg ab und lief bis zur Kante. Ich stellte mich ganz nah daran. Ganz nah.«
»Und dann?« Meine Kehle hatte sich zugezogen, und ich brachte die zwei Worte kaum heraus.
»Ich rief ihn. Ich rief Bruno.« Regines Stimme zitterte, wie auch meine Hände zitterten. »Natürlich erschrak er. Er blieb stehen und schaute sich um. Es dauerte bestimmt eine halbe Minute, bis er mich erkannt hatte und wußte, was los war. Bruno kam zu mir. ’Tu es nicht!’ sagte er. Ganz ruhig sagte er das. Ich verstand gar nicht auf Anhieb, was er meinte. Erst als er es nochmal sagte, wurde mir klar, daß er meinte, ich wollte mich in den Steinbruch stürzen.« Regines Stimme wankte ein wenig. Trotzdem schien sie fest entschlossen, es zu Ende zu bringen, die Geschichte herauszulassen bis zum Schlußpunkt.
»Ich sagte nichts, sondern stand nur dort. Er
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