Ausflug ins Gruene
ja immer so nett zu mir gewesen!« Regine sah mich Hilfe suchend an und erzählte dann weiter: »Bruno riet mir, Medizin zu studieren, da ich schon immer eine gute Naturwissenschaftlerin gewesen war. Er besorgte mir in Münster ein Zimmer. Er organisierte meine Praktika, er tat alles für mich. Für ihn war klar, daß wir nach seinem Examen heiraten würden. Können Sie sich das vorstellen? Er fragte mich nicht einmal, ob ich ihn überhaupt heiraten wollte, sondern er legte lediglich fest, wann es soweit sein sollte. Bruno machte sein Referendariat in Münster und bekam dann prompt eine Stelle am Elisabeth-Gymnasium. Ich selbst hatte nach dem Studium zunächst Probleme, etwas zu finden. Bruno besorgte mir zunächst eine Anstellung in Arnsberg, später konnte ich dann hierher wechseln. Es lief also alles so, wie Bruno es sich gewünscht hatte. Nicht nur im Großen, sondern auch im Kleinen. Bruno bestimmte jede Kleinigkeit in meinem Leben, mischte sich in meinen Beruf ein und verhinderte, daß ich einen eigenen Bekanntenkreis aufbauen konnte.«
»Aber Regine, Sie sind eine selbstständige Frau. Warum haben Sie all das zugelassen?«
Regine starrte mich verschwommen an. »Ich, ich-, verstehen Sie denn nicht? Ich war doch noch ein halbes Kind, als ich mit ihm zusammenkam.« Regine hielt sich krampfhaft einen Arm vor ihr Gesicht, als wolle sie die Tränen verdecken, die in ihre Augen schossen.
»Das mag ja sein, aber Sie sind längst eine erwachsene, reife Frau. Eine Frau, die Erfolg in ihrem Beruf hat, die eine wahre Schönheit ist. Sie müssen doch mit Bestätigung übersät werden. Sie müssen doch Selbstwertgefühl genug entwickelt haben, um einem Mann wie Bruno Langensiep standhalten zu können.«
»Sie verstehen überhaupt nichts!« Regine wandte sich erneut ab und blickte aus dem Fenster, wahrscheinlich ohne dabei irgendetwas wahrzunehmen. »Bruno wurde mehr und mehr wie sein Vater. Er duldete keinen Widerspruch und verfügte über eine subtile Autorität, die ich kaum beschreiben kann.« Regines Stimme klang jetzt verbittert und hart. »Er war nicht im geringsten in der Lage, auf einen anderen Menschen einzugehen. Zuhören war ihm praktisch unmöglich. Ich habe in all den Jahren niemanden kennengelernt, der auch nur annähernd so egozentrisch gewesen wäre. Bruno muß mehr als nur ein miserabler Lehrer gewesen sein. Denn seine einzige Stärke war es, schwächere Menschen zu verletzen. Er wußte, daß er mir überlegen war. Er wußte, daß ich Angst vor ihm hatte, eine Angst, die ich nicht beschreiben kann, da sie nicht mit körperlicher Gewalt einherging.«
»Soll ich Ihnen sagen, was mir Kollegen über ihn berichtet haben?« Alles erschien mir völlig widersinnig. »Ihr Mann war ein Lehrer, dem genau das fehlte, was Sie mir gerade beschrieben haben: Dominanz. Seine Schüler haben ihn ausgelacht, ihn lächerlich gemacht. Er hatte nicht das geringste Durchsetzungsvermögen, von gelegentlichen Ausbrüchen abgesehen.«
Regine drehte sich verwundert um. »Das kann nicht sein. Er war ein Machtmensch, ein-«
»Vielleicht war er das nur, wenn er mit Ihnen zusammen war«, überlegte ich laut. »Wahrscheinlich hat er so kompensiert, was ihm in der Schule selbst widerfahren ist.«
»Vor seinem Vater hat er natürlich gekuscht, zeit seines Lebens. Daß er vor den Schülern kuschte, habe ich nicht gewußt.«
»Er scheint ein ziemlich schizophrener Charakter gewesen zu sein.« Ich kam mir mittlerweile vor, als säße ich in einem Psychologieseminar und müßte mit meinen Kommilitonen ein Fallbeispiel erörtern.
»Vielleicht war er ein schizophrener Charakter«, Regines Stimme hatte wieder die mir schon bekannte Härte bekommen. Noch immer stand sie an derselben Stelle vorm Fenster. »Ich bin mir sogar darüber im klaren, daß Bruno mich auf seine Weise geliebt hat. Aber das täuscht nicht darüber hinweg, daß er mein Leben ruiniert hat.«
»Und was ist mit Dr. Schmidtbauer? Hat der Ihrem Leben neuen Auftrieb gegeben?« Ich hatte versucht, die Frage möglichst neutral zu stellen. Trotzdem blickte Regine mich argwöhnisch an.
»Es war mir klar, daß Sie irgendwann auf ihn kommen würden.« Regine versank in Gedanken und schien wie aus einer anderen Welt zu reden, als sie weitersprach. »Wissen Sie, was Rainer deutlich von meinem Ehegatten unterschied? Er war sensibel. Er konnte zuhören. Er war zärtlich. Können Sie sich eigentlich vorstellen, daß ich erst im Alter von fünfunddreißig erfahren habe, was
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