Ausflug ins Gruene
Unfall erlitt, einen tödlichen Autounfall auf der Strecke zur Schule, die beileibe nicht lang ist, einen Fehlschuß bei einer Treibjagd im nahegelegenen Wald. Oder ich dachte an eine schlimme Krankheit, Krebs am besten, oder einen Herzinfarkt. Ein tragischer Tod halt. Fast jeden Abend vor dem Einschlafen sah ich mich in einem schwarzen Kleid auf der Beerdigung meines Mannes, Beileidsbekundungen entgegennehmend, ein paar stille Tränen vergießend, dem Musikchor der Schule am Grab lauschend, doch im Herzen nur einen einzigen Gedanken: Ich bin frei!« Regine rief mir den Satz noch einmal, jetzt lauter, zu. »Ich bin frei!« Sie verstummte. Nach einiger Zeit sprach sie weiter. »Die Gedanken an einen Mord kamen erst später. Sie dürfen nicht vergessen, ich bin Ärztin. Immer öfter machte ich mir Gedanken, welches der mir zugänglichen Gifte für einen Mord am geeignetsten wäre. Ich konnte keinen Krimi lesen, ohne darüber nachzudenken, ob das Vorgehen des Mörders nachahmenswert sei. Ich machte selbst vor Gedankenspielen mit angesägten Kellertreppen nicht halt. Vielleicht erkennen Sie«, Regine schaute mich verzweifelt an, »was für ein Leben ich geführt habe! Und trotzdem«, Regine holte tief Luft, »ich glaubte immer, daß ich nie zu einem Mord in der Lage sein würde.« Mir lag eine Bemerkung auf der Zunge, aber ich schluckte sie herunter. »Als ich vor zwei Jahren Rainer kennenlernte, wurden meine Wunschträume immer stärker. Mein Verlangen, endlich frei zu sein, vergrößerte sich fast täglich. Es hört sich seltsam an, aber die Idee, mich scheiden zu lassen, kam mir erst verhältnismäßig spät. Vorher hatte ich wohl immer das Gefühl gehabt, ich sei vom Schicksal an diesen Mann gekettet, den ich vor Jahren geheiratet hatte. Nur der Tod würde mich aus dieser Misere wieder befreien können, hatte ich geglaubt. Gegen diesen Zustand ganz legal vorzugehen, war mir einfach nicht in den Sinn gekommen.« Regine wirkte mittlerweile deutlich erschöpft. Sie war nicht nur blaß, sondern abgekämpft und resigniert.
»Irgendwann haben Sie dann aber doch mit Ihrem Mann über Scheidung gesprochen?«
»Mein Mann und Scheidung«, Regine schnaubte. »Als sich bei ihm die Idee vom Neuanfang festgesetzt hatte, wollte er nichts mehr davon wissen. Schon frühzeitig hat er sich einen Anwalt genommen, nur um herauszufinden, wie er die Scheidung möglichst lange hinauszögern konnte. Er wollte mich nicht verlieren. Ich war ja sein Besitz. Sein geliebter Besitz, den er an niemanden verlieren wollte.« Regine stützte sich mit beiden Armen auf den Türknauf der Terrassentür und starrte nach draußen. Nach kurzer Zeit drehte sie sich wieder um.
»Nicht, daß Sie glauben, daß Rainer eine Scheidung wollte! Ganz am Anfang, als ich ihn mit diesem Gedanken konfrontierte, war er natürlich begeistert. Als die Sache ernster wurde, sah alles ganz anders aus. Rainer riet mir ab und verlangte, ich solle mir Zeit mit meiner Entscheidung lassen. Gleichzeitig entfernte er sich von mir. Er behauptete, er habe weniger Zeit. Die Wahrheit war natürlich eine andere. Er fürchtete um seine Karriere.
Er wußte, daß er geliefert wäre, wenn unsere Affäre ans Licht käme, geschweige denn, wenn wir zusammenzögen oder wenn er mich als geschiedene Frau sogar heiraten würde. Rainer und ich arbeiteten am katholischen Krankenhaus. Unser Job hing davon ab. Verstehen Sie?« Ich nickte. Regines Gesicht war inzwischen aschfahl geworden. Meines sah bestimmt nicht besser aus.
»Ich setzte mir in den Kopf, daß ich frei sein müßte, wenn ich unsere Beziehung retten wollte. Frei, nicht geschieden, wenn Sie wissen, was ich meine.« Ich machte mich bereit. Ich wußte, daß jetzt das Schlimmste kommen würde.
»Ich habe nicht aufgehört zu hoffen, daß das Schicksal mich von meinem Mann befreien würde. Ich habe fast jede Nacht von seinem Tod geträumt. Können Sie sich so etwas überhaupt vorstellen?«
Ich reagierte nicht, und Regine erwartete auch keine Antwort auf ihre Frage. »Ich betete für seinen Tod. Ich weiß, es klingt pervers. Aber ich betete zu Gott, daß er mich aus dieser verstrickten Situation befreien sollte.« Regine stand nun zwischen Fenster und Sessel. Sie hielt sich nirgendwo fest. Ihre Arme hingen herunter, wie bei einem schüchternen Kind, das ein Gedicht aufsagen soll. »Zu diesem Zeitpunkt realisierte ich noch nicht, daß Rainer mich gar nicht wollte. Er wollte ein paar schöne Stunden in der Woche, das war alles. Ich dachte
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